Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Befugnis zum Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts bei gültiger Eingliederungsvereinbarung. Kündigung. Schriftform. E-Mail. Wesentliche Änderung der Verhältnisse. Versuch eines Vertragsschlusses. Anordnung der aufschiebenden Wirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Kein eine Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt möglich, wenn eine zuvor abgeschlossene und gültige Eingliederungsvereinbarung nicht gekündigt wird.

 

Normenkette

SGB II §§ 15, 39 Nr. 1; SGB X § 59 Abs. 2; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 4, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.02.2017 in Ziffer I. und II. des Tenors aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 18.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017 angeordnet.

II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

III. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht bewilligt.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) ersetzenden Eingliederungsverwaltungsaktes (EG-VA).

Die Antragstellerin (ASt), geboren 1967, bezieht vom Antragsgegner (Ag) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 07.12.2016 schlossen die Beteiligten eine EGV, die bis auf weiteres gültig sein sollte. Nach Nr 2 der EGV sollte die Gültigkeit ohne gesonderte Kündigung bei Beendigung der Hilfebedürftigkeit der ASt entfallen. Soweit eine Anpassung erforderlich sei, ersetze die neue EGV diese EGV. Als Ziel war die Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Helfer Büro am lokalen Arbeitsmarkt im Tagespendelbereich vereinbart (Nr 3 der EGV). Unter Nr 4 der EGV war als Unterstützung durch den Ag ua vorgesehen, dass eine Teilnahme am ESF-Bundesprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter nach dem SGB II auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten wurde. Weiter waren Leistungen zur Unterstützung von Bewerbungen und Vermittlungsleistungen vereinbart. Die ASt verpflichtete sich zur Einholung der Zustimmung bei Ortsabwesenheiten und zu mindestens fünf Bewerbungsbemühungen monatlich (Nr 5 der EGV). Die EGV sollte regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden (Nr 6 der EGV). Nach Nr 7 der EGV könne eine Vertragspartei die Anpassung der EGV verlangen, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhaltes maßgebend gewesen seien, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich ändern würden, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der EGV nicht zuzumuten sei. Sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zumutbar sei, könne eine schriftliche Kündigung, die begründet werden solle, erfolgen (§ 59 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X).

Mit einer E-Mail teilte die ASt am 07.01.2017 mit, nicht mehr an dem ESF-Bundesprogramm teilnehmen zu wollen. Sie widerrufe ihre Einwilligung zur freiwilligen Teilnahme. Der Ag teilte der ASt daraufhin mit Schreiben vom 09.01.2017 mit, die Teilnahme am Bundesprogramm sei mit sofortiger Wirkung wunschgemäß beendet worden. Nach einem Vermerk des Ag vom 09.01.2017 sei die "EV alt gekündigt" worden. Eine neue EGV sei zugesandt worden. Hierauf teilte die ASt am 16.01.2017 mit, sie sei mit einigen Punkten der geänderten EGV nicht einverstanden, weshalb sie diese nicht unterzeichnen könne. Sie bitte um eine gemeinsame Lösung "der genannten Ursache".

Mit Bescheid vom 18.01.2017 erließ der Ag einen EG-VA mit der Gültigkeit vom 18.01.2017 bis auf weiteres. Hinsichtlich der Gültigkeit habe man eine Nebenbestimmung getroffen. Dabei seien die Interessen der ASt berücksichtigt worden, damit von vornherein geregelt sei, wie lange eine Bindungswirkung für die Beteiligten bestehe (Nr 2 des EG-VA). Als Ziele wurde die Teilnahme an der Betreuungsmaßnahme "AVIBA" ab 23.01.2017 für mindestens acht Wochen sowie die Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bereich Büro oder in den Helferbereichen Küche, Reinigung, Lager oder Verkauf (Nr 3 des EG-VA) festgelegt. Als Unterstützungsleistung des Ag ist in Nr 4 des EG-VA die Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen in diesen Bereichen vorgesehen, das Angebot zur Teilnahme an der genannten Maßnahme, wobei dem Maßnahmeträger Zugriff auf die selektiven Bewerberdaten in dem Vermittlungs-/Beratungs- und Informationssystem (VerBIS) eingeräumt werde. Weiter sind Leistungen zur Unterstützung von Bewerbungen und Vermittlungsleistungen geregelt. In Nr 5 des EG-VA wird die ASt zur Einholung einer Zustimmung bei Ortsabwesenheit vor einer Buchung, dem Kauf eines Tickets oder der Abreise bzw spätestens 14 Tage vor Ortsabwesenheit sowie zu mindestens sieben Bewerbungsb...

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