Leitsatz (amtlich)

Zum Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Bezug auf die Kosten für einen Gebärdendolmetscher im Rahmen des Besuchs einer Berufsschule.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.11.2012 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum Ablauf des Ausbildungsjahres 2012/2013 die Kosten eines Gebärdensprachdolmetschers für die Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Besuch der Berufsschule in D-Stadt zu übernehmen.

II. Die Antragsgegnerin hat der Antragsstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist die Übernahme von Kosten eines Gebärdendolmetschers anlässlich des Besuches einer Berufsschule.

Die 1991 geborene Antragsstellerin (ASt) ist gehörlos. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen H (hilflos), RF (rundfunkgebührenbefreit) und Gl (gehörlos) sind festgestellt. Im Hinblick auf eine Ausbildung zur Friseurin beim Friseurbetrieb "M. F. S." (F) beantragte sie am 01.08.2011 bei der Antragsgegnerin (Ag) die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Für ein der Ausbildung vorangehendes, dreimonatiges Grundseminar ab 22.08.2011 bewilligte der Beigeladene zu 2. mit Bescheid vom 18.08.2011 im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben nach der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) Leistungen für die Kosten des Einsatzes eines Gebärdendolmetschers von bis zu 47.672 €. Am 07.11.2011 schloss die ASt sodann einen Ausbildungsvertrag für die Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2014 mit F ab. Einen beim Beigeladenen zu 2. am 19.10.2011 eingegangenen Antrag der ASt auf Kostenübernahme für einen Gebärdendolmetscher für die Frisörausbildung und den dazugehörigen Berufsschulbesuch leitete der Beigeladene zu 2. mit Schreiben vom 28.10.2011 an die Ag gemäß § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) weiter.

Mit Bescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.12.2011 erklärte sich die Ag als Rehabilitationsträger zuständig und bewilligte die Arbeitsassistenz im Hinblick auf einen Gebärdendolmetscher im Ausbildungsbetrieb dem Grunde nach. Für den entsprechenden Aufwand im Bereich der Berufsschule wurde eine Leistungsgewährung abgelehnt. Es obliege dem Kostenträger des Schulwesens, für behinderte Schüler den Zugang zu einer Berufsschule sicherzustellen, soweit diese der Berufsschulpflicht unterliegen. Über die dagegen von der ASt beim Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobene Klage (Az: S 10 AL 20/12) ist bislang nicht entschieden.

Für die Zeit bis 31.08.2012 bewilligte der Beigeladene zu 2. mit Bescheiden vom 01.12.2011 bzw. 26.01.2012 (vorläufig) die Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz in Form von Gebärdendolmetscherleistungen.

Am 25.10.2012 hat die ASt beim SG beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Gebärdendolmetscherkosten, die im Zusammenhang mit dem Besuch der Berufsschule im laufenden Ausbildungsjahr entstehen, zu zahlen. Der Beigeladene zu 2. habe die Förderung für das zweite Berufsschuljahr nicht verlängert. Nach der Inanspruchnahme von Mutterschutz/Erziehungszeit besuche die ASt wieder die Berufsschule, womit eine Eilbedürftigkeit eingetreten sei. Die Ag sei der zuständige Rehabilitationsträger. Zu den von ihr zu erbringenden Leistungen zählten sämtliche Kosten der Ausbildung, auch die der schulischen. Ein Verweis auf die örtlichen Schulträger scheide aus, da es sich um eine bundesrechtliche Aufgabe handele.

Das SG hat mit Beschluss vom 13.11.2012 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Die Ag sei für eine Leistungserbringung nicht zuständig. Bei den Berufsschulen handele es sich um allgemeine Schulen iSv Art 11 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG). Zum Schulaufwand nach Art 3 Abs 5 Satz 1 1.Alt Bayerisches Schulfinanzierungsgesetz (BaySchFG) zählten insofern auch Aufwendungen für behinderte Schüler, weshalb die Zurverfügungstellung von Gebärdendolmetschern in einer Staatlichen Berufsschule dem Schulaufwandsträger und nicht der Ag obliege.

Gegen den Beschluss hat die ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Jedenfalls im Rahmen einer erforderlichen Interessenabwägung sei eine einstweilige Anordnung zu erlassen. Wie der Schulaufwandsträger bestätigt habe, sei dieser nicht in der Lage, einen Gebärdendolmetscher zur Verfügung zu stellen. Ein Anspruch gegenüber der Ag ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 33 Abs 3 Nr 4 SGB IX.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Ag und des Beigeladenen zu 2. sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und begründet. Das SG hat es zu Unrecht abgeleh...

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