Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung eines Beteiligten. Fahrtkostenersatz. Akteneinsichtnahme und Teilnahme am Gerichtstermin. Fehlen einer Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens. Gebot des effektiven Rechtsschutzes. reformatio in peius

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vornahme von Akteneinsicht stellt keinen vom Gericht angeordneten gerichtlichen Termin dar, für den das JVEG eine Entschädigung ermöglicht.

2. Fehlen sowohl eine gerichtliche Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch die Gebotenheit des persönlichen Erscheinens aus Sicht des Hauptsachegerichts, kommt eine Entschädigung nicht in Betracht.

3. Aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes resultiert kein Entschädigungsanspruch für die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin oder eine Akteneinsichtnahme.

4. Das Verbot der reformatio in peius gilt bei einer gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs 1 JVEG nicht.

 

Tenor

Die Entschädigung der Antragstellerin anlässlich des Gerichtstermins am 13.11.2013 (Akteneinsicht am 12.11.2013, Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 13.11.2013) wird auf 0,- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) für Fahrtkosten, die ihr wegen eines Gerichtstermins entstanden sind.

In dem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) unter dem Aktenzeichen L 16 AS 270/13 geführten Rechtsstreit der Antragstellerin war auf den 13.11.2013 eine mündliche Verhandlung terminiert worden; das persönliche Erscheinen der Antragstellerin war nicht angeordnet worden.

Am 12.11.2013 nahm die Antragstellerin mit Blick auf die am nächsten Tag stattfindende mündliche Verhandlung Akteneinsicht bei Gericht. An der mündlichen Verhandlung am 13.11.2013 nahm sie teil. Das persönliche Erscheinen wurde auch im Termin nicht angeordnet.

Mit Schreiben vom 13.11.2013 beantragte die Antragstellerin die Erstattung der ihr entstandenen Fahrkosten sowohl für die Akteneinsicht am 12.11.2013 als auch für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 13.11.2013 und legte als Nachweis der Kosten die Kopien zweier Tagesfahrkarten zu je 1,95 € vor.

Mit Schreiben vom 11.12.2013 bewilligte die Kostenbeamtin des Bayer. LSG als Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 13.11.2013 die Kosten einer Tagesfahrkarte in Höhe von 1,95 €. Die Fahrtkosten wegen der Akteneinsicht seien nicht zu entschädigen, da das persönliche Erscheinen hierfür nicht angeordnet worden sei.

Mit Schreiben vom 21.12.2013 hat sich die Antragstellerin gegen die Abrechnung der Kostenbeamtin insofern gewandt, als ihr die Fahrtkosten zur Akteneinsicht nicht erstattet worden waren. Gründe für die Nichtanordnung des persönlichen Erscheinens bei der mündlichen Verhandlung seien für sie nicht ersichtlich; sie fühle sich dadurch als Prozesspartei benachteiligt. Die Nichterstattung der Fahrtkosten zur Akteneinsicht stelle eine weitere Benachteiligung dar. Die Akteneinsicht sei zur Wahrung ihrer prozessualen Rechte erforderlich gewesen. Sie beantrage daher die richterliche Festsetzung der Entschädigung.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier die Berechtigte mit Schreiben vom 21.12.2013 die richterliche Festsetzung beantragt.

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach den Regelungen des JVEG, da ihr persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am 13.11.2013 nicht angeordnet worden ist. Eine Entschädigung wegen der Wahrnehmung von Akteneinsicht ist im JVEG nicht vorgesehen. Die Entschädigung anlässlich des Gerichtstermins am 13.11.2013 (Akteneinsicht am 12.11.2013, Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 13.11.2013) ist daher auf 0,- € festzusetzen.

1. Charakter der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG, Verfahren

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 06.12.2013, Az.: L 15 SF 39/13; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.). Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Kostenfestsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung kann deshalb auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (ständige Rechtsp...

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