Gesundheitsversorgung

Kommission zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung startet


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Kommission zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat in Berlin die Kommission zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung vorgestellt. Angesichts steigender Milliardenkosten und wachsender Beiträge soll das Gremium Vorschläge für eine umfassende Neuordnung des Systems erarbeiten.

Ab 2027 drohe ohne Eingriffe ein Defizit im zweistelligen Milliardenbereich. Die Kassen mahnten, die Kommission könne Sofortmaßnahmen nicht ersetzen.

Das Gremium mit zehn Professorinnen und Professoren soll bis März 2026 erste Vorschläge zur Stabilisierung der Beitragssätze ab 2027 vorlegen, wie Warken sagte. Bis Ende 2026 soll ein Bericht zu grundlegenden Reformen folgen. Die Kommission arbeite frei und ohne Denkverbote, sagte die Ministerin. Die Arbeit der Kommission sie am 25. September beginnen. Die Mitglieder kommen unter anderem aus Gesundheits- und Rechtswissenschaften, Ethik und Volkswirtschaftslehre.

«Alle Bereiche auf den Prüfstand» 

Tiefgreifende Reformen zur Stabilisierung des Systems seien überfällig, sagte Warken. «Alle Versorgungsbereiche müssen auf den Prüfstand, sämtliche Ausgaben und Einnahmen.» Die Quasi-Selbstverständlichkeit, dass jährlich die Beiträge steigen, solle durchbrochen werden. 

Die Fragestellungen seien nicht ganz neu, aber denkbar schwierig, sagte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, der Kommissionsmitglied ist. Ausgewählt werden müssten Ansätze, die effektiv, aber auch politisch vermittelbar seien. Der Münchener Professor Michael Laxy hob ein großes Potenzial einer stärkeren Vorbeugung hervor.

Union und SPD hatten die Kommission im Koalitionsvertrag vereinbart. Zunächst war geplant, dass sie bis Frühjahr 2027 Vorschläge erarbeitet, der Zeitplan wird aber gestrafft. 

SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis sagte, das Gremium könne wichtige Impulse setzen, um Reformen vorzubereiten. Entscheidend sei aber: «Wir dürfen uns nicht auf Spargesetze beschränken, die am Ende die Patientinnen und Patienten treffen.» Bei der GKV rede man nicht nur über ein Finanzierungssystem, sondern letztlich über den Schutz der Demokratie.

Akute Lösungen für Anfang 2026 gesucht

Unabhängig von der Kommission ringt die Koalition um schnelle Maßnahmen, um erneute Erhöhungen der Beiträge Anfang 2026 abzuwenden. Warken sagte, sie sei optimistisch, dass man zu guten Lösungen kommen werde. Noch klafft trotz schon vorgesehener Finanzspritzen im Etat eine Lücke von vier Milliarden Euro. Eine Lösung sei, noch mehr Haushaltsmittel zu bekommen. «Wenn uns das nicht gelingt, dann muss auch über andere Maßnahmen nachgedacht werden, die einen Spareffekt haben. Vielleicht auch ein Mix aus beidem.»

Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte auch auf die von früheren Regierungen genutzte Option eines Spargesetzes hingewiesen – um sehr stark steigende Ausgaben mit weniger stark steigenden Einnahmen «zumindest mal per Gesetz für ein, zwei Jahre in Deckung zu bringen». Erst Anfang 2025 hatte es eine Welle kräftiger Erhöhungen bei den Zusatzbeiträgen gegeben, die die Kassen je nach ihrer Finanzlage für ihre Versicherten festlegen.

Die stellvertretende Chefin des GKV-Spitzenverbands, Stefanie Stoff-Ahnis, begrüßte den früheren Start der Kommission, deren kurzfristige Vorschläge aber auch erst auf 2027 zielen sollen. «Die Politik muss jetzt handeln, um Beitragserhöhungen Anfang 2026 zu verhindern.» Der Verband schlägt dazu als Sofortmaßnahme eine gesetzliche Kostenbremse vor, wonach die Ausgaben der Kassen nur so stark steigen dürfen wie die Einnahmen – und nicht unbegrenzt.

dpa

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Thomas Elias

Tue Sep 16 19:34:59 CEST 2025 Tue Sep 16 19:34:59 CEST 2025

Wer ist hier solidarisch mit wem?
Zur Reformbedürftigkeit der gesetzlichen Sozialversicherung

Die gesetzliche Sozialversicherung war einst ein Meilenstein sozialer Gerechtigkeit. Sie beruhte auf einem einfachen Prinzip: Wer arbeitet, zahlt ein – und wer Hilfe braucht, erhält Unterstützung. Dieses Modell war in einer Zeit sinnvoll, in der die Mehrheit der Bevölkerung sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und Einkommen gleichmäßiger verteilt war.

Doch heute stellt sich die Frage: Wer trägt eigentlich noch die Last dieser Solidarität – und wer profitiert davon, ohne sich zu beteiligen?

Die verschobene Last der Solidarität
Die Realität ist ernüchternd:

Geringverdiener und die obere Mittelschicht zahlen über Jahrzehnte hohe Beiträge in die Sozialversicherung ein – oft bis zur Beitragsbemessungsgrenze.

Gutverdiener, die nur wenige Euro darüber liegen, können sich aus der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verabschieden und privat versichern.

Die wirklich Vermögenden – Unternehmer, Kapitalanleger, Erben – zahlen oft gar nichts in die Sozialversicherung ein, weil ihr Einkommen nicht aus sozialversicherungspflichtiger Arbeit stammt.

Das Ergebnis: Die Solidarität wird nicht von oben nach unten, sondern von der Mitte nach unten organisiert. Diejenigen, die ohnehin unter Druck stehen, finanzieren ein System, aus dem sich die Spitzen-Einkommensgruppen elegant herausziehen.

Systemische Schieflage
Gleichzeitig verändert sich die Arbeitswelt dramatisch:

Immer mehr Einkommen entsteht durch Kapital, Plattformarbeit, Selbstständigkeit oder internationale Tätigkeiten – alles Bereiche, die nicht oder kaum sozialversicherungspflichtig sind.

Die Zahl der klassischen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sinkt relativ, während die Ausgaben für Rente, Pflege und Gesundheit steigen.

Das führt zu einer paradoxen Situation:

Immer mehr Geld wird durch immer weniger sozialversicherungspflichtige Arbeit generiert.



Diesem Gedanken muss Rechnung getragen werden, will man die gesetzliche Sozialversicherung zukunftsfähig reformieren.

Zeit für ein neues Finanzierungsmodell
Die gesetzliche Sozialversicherung ist nicht falsch, aber veraltet. Ihre Finanzierung muss neu gedacht werden:

Weg von der reinen Lohnbezogenheit, hin zu einer steuerfinanzierten Grundsicherung, die alle Einkommensarten einbezieht.

Kapitalerträge, Mieteinnahmen, Unternehmensgewinne müssen zur Finanzierung beitragen – nicht nur Löhne.

Die bestehenden Steuerzuschüsse zur Renten- und Krankenversicherung zeigen: Der Staat zahlt ohnehin schon mit – aber ohne Systemwechsel.

Fazit
Solidarität darf kein leeres Wort sein. Sie muss gerecht verteilt werden.
Ein System, das die Mittelschicht zur Kasse bittet, während die Vermögenden außen vor bleiben, ist nicht solidarisch – sondern selektiv.
Die gesetzliche Sozialversicherung braucht ein Update. Nicht in ihrer Idee, sondern in ihrer Finanzierung.