Verbraucherstreitbeilegung: Verbraucherschutz oder Regelungswahn?

Beginnend mit dem 1.2.2017 besteht für sämtliche Unternehmer die Pflicht, im Falle der Nichtbeilegung einer Streitigkeit mit einem Verbraucher, diesen auf eine zuständige Streitbeilegungsstelle hinzuweisen. Befürworter und Kritiker streiten heftig über den Sinn der Vorschrift.

Die neue Verpflichtung folgt aus § 37 des Gesetzes über die Alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (VSBG). Zusammen mit der Information über die Streitbeilegungsstelle hat der Unternehmer auch die

  • Anschrift und Webseite der zuständigen Streitbeilegungsstelle anzugeben
  • sowie den Verbraucher darüber zu informieren, ob er als Unternehmer selbst zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren bei der Schlichtungsstelle bereit oder möglicherweise verpflichtet ist.
  • Der Hinweis hat in Textform zu erfolgen, § 37 Abs 2 VSBG.
  • Ausgelöst wird die Hinweispflicht in dem Augenblick, in dem klar ist, dass eine Streitigkeit zwischen Verbraucher und Unternehmer nicht beigelegt werden kann 

Informationspflicht komplementär zur europäischen ODR-VO

Die Regelung komplettiert das europäische Recht. Auf der Grundlage der Europäischen StreitbeilegungsVO (ODR = Online-Dispute-Resolution-VO) stellt die EU-Kommission seit Februar 2016 die so genannte OS-Plattform im Netz zum Zwecke der Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten bereit, auf die sämtliche EU-Online-Händler Verbraucher obligatorisch hinweisen müssen. Die OS-Plattform wiederum verweist auf die Schlichtungsstellen der einzelnen EU-Staaten, die allerdings noch nicht in allen EU-Ländern zur Verfügung stehen.

Regelung sprachlich zu ungenau

Die Regelung der Informationspflicht nach § 37 VSBG ist nicht unproblematisch, da die Formulierung des Gesetzestextes wichtige Fragen offen lässt:

  • So stellt das Gesetz keine Kriterien für die Beurteilung der Frage bereit, wann genau eine Streitigkeit zwischen Unternehmer und Verbraucher vorliegt. Reicht dafür jede Meinungsstreitigkeit aus oder ist eine Uneinigkeit über Rechtsansprüche, beispielsweise im Rahmen der Gewährleistungsrechte, Voraussetzung.
  • Das Gesetz definiert auch den Zeitpunkt nicht näher, ab dem davon auszugehen ist, dass ein Streit nicht beigelegt werden konnte.
  • Der Gesetzestext lässt offen, ob die Zuständigkeit der Verbraucherschlichtungsstelle sich nach dem Sitz des Händlers oder dem Wohnort des Verbrauchers richtet. 

Kritiker befürchten negative wirtschaftliche Folgen

Kritiker monieren darüber hinaus, dass die sich im VSBG manifestierende Regelungswut des Gesetzgebers den Händlern immer neue Bürden auferlegt und damit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes schade. Besonders für kleinere und mittlere Händler sei das Vorschriftendickicht kaum noch zu überblicken. Da Verstöße für die Händler aber erhebliche wirtschaftliche Folgen haben könnten, wie zum Beispiel kostenintensive Abmahnungen, stehe zu befürchten, dass einige Händler den Anforderungen nicht gewachsen sind, was bis hin zum wirtschaftlichen Ruin führen könne.

Im schlimmsten Fall könnte das Gesetz leerlaufen

Darüber hinaus wird befürchtet, dass viele Händler an dem Streitbeilegungsverfahren nicht teilnehmen werden. Die Teilnahme ist freiwillig, aber mit Kosten verbunden. Dies könnte nach Meinung von Kritikern im Ergebnis dazu führen, dass Verbraucher zwar grundsätzlich auf die Möglichkeit eines Streitbeilegungsverfahrens hingewiesen werden, der Händler aber gleichzeitig seine Teilnahme verweigert, so dass die Intention des Gesetzgebers letztlich leerlaufen würde. Verbraucher könnten das Gesetz dann – sollte es tatsächlich so kommen - als regelrechten Schildbürgerstreich empfinden.

Die „Abmahnindustrie“ dürfte profitieren

Fatal wäre auch, wenn am Schluss hauptsächlich die „Abmahnindustrie“ auf ihre Kosten käme. Die Informationspflicht nach § 37 VSBG gehört jedenfalls künftig zu den Katalognormen des § 2 UKlaG. Konsequenz: Verbraucherschutzverbände sowie Industrie- und Handelskammern können bei Verstößen die betreffenden Unternehmen abmahnen. Wenn die Rechtsprechung darüber hinaus die Informationspflicht als Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG qualifizieren sollte, so wäre einer Abmahnwelle durch Abmahnvereine Tür und Tor geöffnet. Die zukünftige Einordnung als Marktverhaltensregelung durch die Gerichte ist aber naheliegend, wie sich bereits in der Rechtsprechung zur europäischen ODR-VO zeigt. Dort ist bereits die klare Tendenz der Rechtsprechung erkennbar, Abmahnern Recht zu geben (OLG München, Urteil v.22.9.2016, 29 U 2498/16), was konsequenterweise dann auch für die ähnliche Ziele verfolgende Vorschrift des § 37 VSBG gelten würde.

Außergerichtliche Streitbeilegung ist grundsätzlich erwünscht 

Trotz aller Kritik: Die durch § 37 VSBG postulierte Pflicht zur Information des Verbrauchers über die Existenz von Streitbeilegungsstellen kann durchaus dazu beitragen, Streitigkeiten zwischen Händlern und Verbrauchern künftig häufiger auf außergerichtlichem Wege beizulegen.

Dies entlastet die Justiz und ist im Vergleich zu gerichtlichen Verfahren

  • kostengünstiger,
  • unkomplizierter
  • und damit verbraucherfreundlicher.

Außerdem dürften viele Händler schon aus Gründen ihres „Standings“ und ihrer Reputation in den Augen ihrer Kunden sich eher für die Teilnahme am Streitbeilegungsverfahren entscheiden als dagegen.

Furcht vor einer Paralleljustiz ist unberechtigt  

Auch die Kritik, die außergerichtliche Streitbeilegung führe zu einer Art Paralleljustiz - manche sprechen gar von einem „Bypass um die erstinstanzlichen Gerichte“ - ist im Hinblick auf die wünschenswerte Entlastung der Justiz nicht gerechtfertigt. Zu Recht monieren die Kritiker allerdings die Unzulänglichkeiten des Gesetzestextes, die zu großen Unsicherheiten bei den Händlern führen kann. Die erforderliche Konkretisierung dürfte mal wieder den Gerichten überlassen bleiben, was die erhofften Entlastungseffekte allerdings wieder relativiert.

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