Teilnahme eines Ehrenmitglieds an Aufsichtsratssitzungen

Dritte dürfen grundsätzlich nicht an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen. Nur im Einzelfall ist die Anhörung von Sachverständigen oder Auskunftspersonen in Aufsichtsratssitzungen erlaubt. Auch der Status als Ehrenmitglied im Aufsichtsrat berechtigt nicht zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen.

Sachverhalt

Die Beklagte ist eine AG, an deren Aufsichtsratssitzungen in ständiger Praxis neben den Aufsichtsratsmitgliedern auch der Mehrheitsaktionär als „Ehrenmitglied“ teilnahm. Der Kläger, ein Minderheitsaktionär, hielt dies für rechtswidrig. Mit seiner Anfechtungsklage wandte er sich unter anderem gegen den Beschluss der Hauptversammlung, der dem Aufsichtsrat die Entlastung für das vergangene Geschäftsjahr erteilt hatte.

Das LG Stuttgart hat der Klage stattgegeben. § 109 Abs. 1 S. 1 AktG sei eine zwingende Vorschrift, die es Dritten grundsätzlich verbiete, an Aufsichtsratssitzungen teilzunehmen. Dadurch, dass die Hauptversammlung trotz dieser erkennbaren schwerwiegenden Pflichtverletzung dem Aufsichtsrat die Entlastung erteilte, habe die Aktionärsmehrheit gegen ihre gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßen. Hiergegen richtet sich unter anderem die Berufung der Beklagten.

Urteil des OLG Stuttgart vom 25.5.2022, 20 U 76/21

Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Das OLG kommt zu dem Ergebnis, dass die durch die Hauptversammlung ausgesprochene Entlastung des Aufsichtsrats pflichtwidrig und der Entlastungsbeschluss daher anfechtbar sei. Die herrschende Meinung in der Literatur vertritt schon seit geraumer Zeit die Auffassung, dass die Teilnahme von Ehrenmitgliedern im Aufsichtsrat wegen Verstoßes gegen § 109 Abs. 1 S. 1 AktG unzulässig ist. Nach dieser Norm sollen an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, nicht teilnehmen. Nur ausnahmsweise dürfen Sachverständige und Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände zugezogen werden (§ 109 Abs. 1 S. 2 AktG).

Der Senat bestätigt, dass § 109 Abs. 1 S. 1 AktG trotz seines Wortlauts ("soll") als zwingendes Verbot zu lesen ist, sodass der Aufsichtsrat externe Personen nicht an Sitzungen teilnehmen lassen darf. Dies folgt nach Auffassung des OLG Stuttgart im Umkehrschluss aus § 109 Abs. 3 AktG; danach sind Vertreter verhinderter Aufsichtsratsmitglieder ausnahmsweise zuzulassen, wenn die Satzung der Gesellschaft diese Möglichkeit vorsieht. Das Verbot nach § 109 Abs. 1 S. 1 AktG soll verhindern, dass nicht dem Aufsichtsrat angehörende Personen durch ihre Anwesenheit eine vergleichbare Einflussmöglichkeit erlangen, ohne hierfür eine entsprechende Verantwortung zu tragen.

Das gilt auch für sog. „Ehrenmitglieder“ im Aufsichtsrat. Ein Ehrenmitglied kann – so das OLG Stuttgart – weder als ständiger Teilnehmer eingeladen, noch als ständiger Berater hinzugezogen werden. Der Aufsichtsrat ist nämlich gemäß § 111 Abs. 6 AktG verpflichtet, sein Amt eigenverantwortlich wahrzunehmen und kann seine Aufgaben nicht an andere abgeben.

Die Verleihung einer "Ehrenmitgliedschaft" ist ohne rechtliche Relevanz und begründet weder eine mitgliedschaftliche Stellung im Aufsichtsrat noch sonstige organschaftliche Rechte. Das gilt auch für einen Mehrheitsaktionär, der – wie in dem entschiedenen Fall – zum Ehrenmitglied des Aufsichtsrats ernannt wurde.  Zwar verfügt er ohnehin über mehr Informationen als ein außenstehender Dritter; das rechtfertigt es jedoch nicht, ihn zu Aufsichtsratssitzungen einzuladen. Denn es ist etwas anderes, ob der Mehrheitsaktionär Informationen bekommt oder ob er durch seine Präsenz in den Sitzungen Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen kann.

Die unzulässige Teilnahme des Ehrenmitglieds an Aufsichtsratssitzungen war nach Auffassung des OLG Stuttgart auch schwerwiegend. Zwar hatte das Ehrenmitglied im für die Entlastung maßgeblichen Zeitraum nur einmal an einer Aufsichtsratssitzung teilgenommen. Dies könne jedoch – so der Senat – nicht isoliert betrachtet werden, sondern müsse als Fortsetzung einer in der Vergangenheit regelmäßig gehandhabten Praxis gesehen werden, mit der sich der Aufsichtsrat kontinuierlich über die zweifelsfreie Rechtslage hinweggesetzt habe. Der Verstoß sei für die Aktionäre auch erkennbar gewesen, da der Sachverhalt in der Hauptversammlung zur Sprache gekommen ist.

Anmerkungen für die Praxis

Das Urteil des OLG Stuttgart bestätigt, was bisher schon allgemeine Rechtsauffassung war: Personen, die nicht Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sind, dürfen nicht an Sitzungen des Aufsichtsrats teilnehmen (§ 109 Abs. 1 S. 1 AktG) – weder durch Verleihung einer Ehrenmitgliedschaft noch durch Hinzuziehung als ständiger Berater. Die Vorschrift ist zwingendes Recht; weder die Hauptversammlung noch der Aufsichtsrat können eine davon abweichende Regelung treffen. Dritte dürfen nur als Sachverständige oder Auskunftspersonen teilnehmen, und zwar beschränkt auf einzelne Tagesordnungspunkte, zu denen sie tatsächlich beraten (§ 109 Abs. 1 S. 2 AktG). Das gilt auch für ehemalige Aufsichtsratsmitglieder, Mehrheitsaktionäre und Familienmitglieder. Ein Aufsichtsrat, der sich darüber hinwegsetzt, handelt pflichtwidrig und riskiert die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses.

Dies gilt nicht nur für die AG, sondern auch für die dualistische SE, die KGaA und die mitbestimmte GmbH sowie nach herrschender Meinung auch für die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat.

Möchte der Aufsichtsrat ein "Ehrenmitglied" oder andere Personen (wie etwa ehemalige Aufsichtsratsmitglieder, Mehrheitsaktionäre, Aktionärsvertreter oder Mitglieder der Unternehmerfamilie) bei den Sitzungen dabeihaben, muss die Person im Hinblick auf den Beratungsgegenstand besondere Sachkunde besitzen oder von bestimmten Ereignissen (etwa aus ihrer Tätigkeit im Unternehmen) berichten können, die für die Beratung relevant sind. Zu den fraglichen Tagesordnungspunkten muss sie einzeln eingeladen werden und die Sitzung nach Behandlung dieser wieder verlassen. Über die Hinzuziehung entscheidet der Aufsichtsratsvorsitzende, wobei jedoch der Aufsichtsrat als Plenum anders entscheiden kann. In der Praxis stoßen diese strengen Vorgaben häufig auf wenig Verständnis. Gerade in Familienunternehmen besteht vielfach der Wunsch, Aktionäre hinzuzuziehen, auch wenn sie nicht formal dem Aufsichtsrat angehören. Das können zum einen Aktionäre mit viel Erfahrung, zum anderen junge Aktionäre sein, die als Gäste im Aufsichtsrat an das Unternehmen herangeführt werden sollen. Beides ist unzulässig – auch wenn eine Person durch Hauptversammlungsbeschluss zum „Ehrenmitglied“ des Aufsichtsrats ernannt wurde.

Die Folgen eines Verstoßes halten sich allerdings in Grenzen. Aufsichtsratsbeschlüsse, die in Anwesenheit von Gästen gefasst werden, bleiben auch bei Missachtung von § 109 Abs. 1 S. 1 AktG grundsätzlich wirksam. Nur wenn ein Aufsichtsratsmitglied durch die Anwesenheit des Dritten in seinen Teilnahme- und Mitwirkungsbefugnissen behindert wurde, kann der Aufsichtsratsbeschluss nichtig sein. Schadensersatzansprüche der Gesellschaft sind theoretisch möglich, aber praktisch kaum denkbar, weil ein Schaden der Gesellschaft nicht ersichtlich, jedenfalls aber nicht bezifferbar ist. Damit bleibt nur die Entlastung: Die Hauptversammlung kann und muss dem Aufsichtsrat die Entlastung versagen, wenn dieser Dritten regelmäßig die Teilnahme an Sitzungen gewährt. Ein trotzdem erteilter Entlastungsbeschluss ist anfechtbar. Allerdings ist auch das „halb so wild“: Die Nichtentlastung hat keine direkten rechtlichen Konsequenzen. Die Entlastung dient primär als Billigung der Amtsführung für das vergangene Geschäftsjahr und hat damit eine vertrauensbildende Wirkung. Die Nichtentlastung führt weder zur Abberufung noch folgt daraus eine persönliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats. Denn dazu wäre wiederum ein nachweisbarer Schaden erforderlich.

Unproblematisch zulässig sind im Übrigen Protokollführer oder Dolmetscher; solche „Hilfspersonen“ darf der Aufsichtsrat jederzeit hinzuziehen, weil sie keine Teilnehmer im Rechtssinne sind.

(OLG Stuttgart, Urteil v. 25.5.2022, 20 U 76/21)


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