Keine Anzeigepflichtverletzung bei fehlendem Auskunftsformular

Wird bei einem Versicherungsantrag ein an sich vorgesehenes Formular dem Antragsteller nicht vorgelegt, kann ihm später nicht vorgeworfen werden, er hätte maßgebliche Angaben verschwiegen und damit seine Anzeigepflicht verletzt. Hier hatte die Versicherung offensichtlich notwendige Konkretisierungsnachfragen versäumt.

Ein 69 Jahre alter Mann hatte im Dezember 2012 bei einer Versicherung den Abschluss einer privaten Pflegetagegeldversicherung beantragt. Die Versicherung hatte den Antrag angenommen. Im September 2014 wurde dem Mann von der Pflegekasse, der AOK Baden-Württemberg, eine Pflegebedürftigkeit mit der Pflegestufe 0 zuerkannt (ab dem 1.8.2014). Daraufhin machte der Mann auch Leistungen aus seiner im Dezember 2012 abgeschlossenen privaten Pflegetagegeldversicherung geltend.

Chronische Lungenerkrankung vor Abschluss des Pflegetagegeldversicherungsvertrags

Die Versicherung lehnte es ab, Pflegetagesgeld zu zahlen und begründete dies damit, er habe die Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag unzutreffend beantwortet. Er habe eine chronische Lungenerkrankung verschwiegen, die von seinem Hausarzt schon im Jahr 2010, also zwei Jahre vor dem Abschluss des Versicherungsvertrags, diagnostiziert worden sei. Hätte sie von diesem Sachverhalt zum Zeitpunkt der Antragsstellung gewusst, hätte sie den Antrag nicht angenommen.

Versicherung wollte vom Vertrag zurücktreten

Die Versicherung erklärte, sie trete vom Versicherungsvertrag zurück und erklärte gleichzeitig hilfsweise die Kündigung des Vertrags. Die Ehefrau des inzwischen verstorbenen Versicherungsnehmers machte im Rechtsstreit mit der Versicherung als Erbin ihres Ehemannes Ansprüche aus der Pflegetagegeldversicherung geltend.

Gesundheitsfragen im Versicherungsvertrag 

Der vom Ehemann der Klägerin unterzeichnete Versicherungsvertrag enthielt unter Ziffer 3 folgende Frage:

„Besteht oder bestand innerhalb der letzten 5 Jahre eine der folgenden Krankheiten: Bauchspeicheldrüsenerkrankung, chronische Lungenerkrankung, medikamentös behandelter Bluthochdruck, … Minderung der Erwerbsfähigkeit oder Grad der Behinderung um mindestens 50 %?“

Diese Frage beantwortete der Mann mit „Ja“. Dem Antrag hatte er eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises (Grad der Behinderung: 50%) beigefügt. Zudem gab er auf einem von der Versicherung beigelegten Formular eine „Zusatzerklärung Gelenkbeschwerden“ ab, in der er ein Schulter-Arm-Syndrom angab und den hierzu vorgesehenen Fragenkatalog vollständig beantwortete.

Der Versicherungsantrag wurde von einem Versicherungsvermittler der beklagten Versicherung angenommen. Was fehlte, war das im Antragsformular der Versicherung vorgesehene Zusatzformular „Krankenversicherung und Pflegepflichtversicherung“.

Versicherung ist zur Leistung verpflichtet

Das OLG Karlsruhe entschied, dass die Ehefrau einen Anspruch gegen die Versicherung hat. Die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht liegen vor. Die Versicherung muss ab dem Zeitpunkt, ab dem die Pflegestufe 0 bei dem inzwischen Verstorbenen festgestellt wurde, zahlen.

Voraussetzung für Versicherungsfall ist die Zuordnung einer Pflegestufe

Gemäß § 1 Abs. 2 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist die Voraussetzung für den Versicherungsfall, die Zuordnung einer bestimmten Pflegestufe durch die soziale Pflegeversicherung. Diese Zuordnung war mit dem Bescheid der AOK Baden-Württemberg vom 3.9.2014 erfolgt.

Die Versicherung war weder zum Rücktritt vom Vertrag noch zur Kündigung berechtigt. Die Voraussetzungen einer Anzeigenpflichtverletzung (§ 19 VVG) lagen nicht vor. Maßgeblich für die Frage, ob eine Anzeigepflicht verletzt wurde, sind die im Antragsformular vom Versicherer vorgesehenen Fragen.

Keine Verletzung der Anzeigepflicht bei vollständigen und richtigen Antworten des Versicherten

Eine Verletzung der Anzeigepflicht scheidet aus, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin sämtliche Fragen im Antragsformular richtig und vollständig beantwortet hat, und zwar auch dann, wenn er unter einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung litt und dies auch wusste: Maßgeblich war die Beantwortung der Frage Ziffer 3 im Antragsformular, bei der nach verschiedenen chronischen Erkrankungen gefragt wurde. Im Formular war nur das Ankreuzen eines Kästchens „Ja“ oder „Nein“ vorgesehen und er hatte das Kästchen „Ja“ angekreuzt.

Für eine Konkretisierung, um welche chronische Erkrankung es sich handeln sollte, bot das Formular keinen Anlass und auch keinen freien Raum.Die Antwort des verstorbenen Ehemanns war somit vollständig und richtig.

Versicherung hätte nach fehlendem Zusatzformular fragen müssen

Es wäre Sache der Versicherung gewesen, zu entscheiden, ob sie den Antrag des Versicherungsnehmers trotz des fehlenden Zusatzformulars „Antrag Krankenversicherung und Pflegepflichtversicherung“ annehmen wollte oder ob sie zunächst durch Nachfrage klären wollte, welche der unter Ziffer 3 der Gesundheitsfragen angegebenen chronischen Erkrankungen bestanden oder in Betracht kamen. Doch diese Nachfrage sei von der Versicherung nicht gekommen.

Erforderlichkeit von Nachfragen zur Konkretisierung war für Versicherung offensichtlich

Die Erforderlichkeit einer Nachfrage war aufgrund des Formularkonzepts der Versicherung aber offensichtlich. Da die Versicherung ihrer Nachfrageobliegenheit nicht genügt hat, kann sie sich gemäß § 242 BGB nicht darauf berufen, dass der Versicherungsnehmer das Zusatzformular „Krankenversicherung und Pflegepflichtversicherung“ nicht ausgefüllt und vorgelegt hat.Die Versicherung ist dazu verpflichtet, für die Zeit der Pflegebedürftigkeit des Ehemanns der Klägerin das entsprechende Pflegetagegeld zu zahlen.

(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 28.01.2020, 9 U 13/18).

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Für Versicherer in den Sparten der Kranken-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung sind bei Antragstellung Vorerkrankungen des künftigen Versicherungsnehmers eine wichtiges Thema, um das Kostenrisiko der Versicherung abzuschätzen zu können. Im Leistungsfall prüfen Versicherer sehr genau, ob sie wirklich zur Zahlung verpflichtet sind. Dabei spielt die Frage, ob vor Vertragsabschluss die umfangreichen Gesundheitsfragen richtig beantwortet wurden, eine zentrale Rolle und werden dem Kunden nicht selten zum Verhängnis.

Schlagworte zum Thema:  Obliegenheit, Versicherungsschutz