Kein Ausgleichsanspruch für Vertragshändler?
Das deutsche Recht sieht unter bestimmten Voraussetzungen vor, dass der Vertragshändler bei Beendigung des Distributionsvertrages einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB hat (eine Norm, die eigentlich für Handelsvertreter gilt). Die Rechtsordnungen der meisten Staaten innerhalb und außerhalb der EU kennen dagegen keinen solchen Anspruch für Vertragshändler. Ausländische Hersteller, die Vertragshändler in Deutschland einsetzen, werden in der Regel ihr eigenes Recht vereinbaren wollen, schon weil es ihnen bekannt ist und weil sie ein Interesse daran haben, mit allen Vertragshändlern weltweit gleichartige Verträge zu schließen. Die Aussicht, bei Anwendung deutschen Rechts eines Tages ggf. einen Ausgleich zahlen zu müssen, wird die Vereinbarung einer anderen (nicht-deutschen) Rechtsordnung noch zusätzlich attraktiver erscheinen lassen.
Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters international zwingendes Recht
Aber ist das eigentlich uneingeschränkt möglich? Anlass zum Zweifel daran kann die „Ingmar“-Rechtsprechung des EuGH und nachfolgend auch der deutschen Gerichte bieten. In der Ingmar-Entscheidung des EuGH vom 9.11.2000 (Az.: Rs. C-381/98, bestätigt durch die „Unamar“-Entscheidung vom 17.10.213, Az.: C-184/12) hatte dieser entschieden, dass es sich beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters um international zwingendes Recht handele (sog. Eingriffsnorm). Dieser zwingende Anspruch dürfe nicht durch abweichende Gerichtsstands- oder Rechtswahlregelungen umgangen werden. In a nutshell: Sieht der Handelsvertretervertrag vor, dass ein nicht-europäisches Recht anzuwenden und ein nicht-europäisches Gericht zuständig ist, kann der Handelsvertreter dies, wenn zu erwarten ist, dass ihm daher kein Ausgleichsanspruch zugesprochen wird, unter Umständen ignorieren und dennoch in der EU klagen und sich auf europäisches Recht berufen.
Gilt das auch für Vertragshändler?
Ob diese Ingmar-Rechtsprechung auch für Vertragshändler gilt, ist in der juristischen Fachliteratur umstritten (dagegen z.B. Westphal/Korte, Vertriebsrecht, 2. A. 2023, Kap. 27 Rn. 32). Das Kammergericht Berlin hat sich nun in einem aktuellen Beschluss gegen die Übertragung der Rechtsprechung auf Vertragshändler ausgesprochen. (Hinweisbeschluss vom 01.7.025, Az.: 2 U 37/22). Es ist wohl die erste veröffentlichte gerichtliche Äußerung zu dieser Frage. Im konkreten Fall ging es zwar um einen Dienstleistungsvertreter (also einen Handelsvertreter, der für ein drittes Unternehmen Dienstleistungsverträge vermittelt), nicht um einen Vertragshändler. Aber der Beschluss gilt ohne Abstriche auch für Vertragshändler – diese werden auch ausdrücklich erwähnt. Das Gericht argumentierte, dass zwar zu unterstellen sei, dass das nach dem Vertrag anzuwendende Recht von Delaware keinen Ausgleichsanspruch kenne. Die Ingmar-Rechtsprechung sei aber dennoch nicht anzuwenden, da das Vertragsverhältnis der Parteien inhaltlich nicht von der EU-Handelsvertreterrechtlinie erfasst werde. Denn Geschäftsgegenstand sei u.a. die Vermittlung von Dienstleistungen gewesen. Die EU-Richtlinie beschränke sich auf den Warenvertrieb. Sie könne nicht entsprechend auf Dienstleistungsvertreter oder Vertragshändler angewendet werden. Denn insofern gebe es in der EU ohnehin keine einheitlichen Regelungen: In manchen EU-Staaten haben Vertragshändler einen Ausgleichsanspruch, in anderen nicht. Daher sei insoweit ein niedrigeres Schutzniveau europarechtlich zulässig. Entsprechend dürfe ein ausländischer Hersteller mit dem europäischen Vertragshändler oder Dienstleistungsvertreter vereinbaren, dass ein nicht-europäisches Gericht zuständig und ein nicht-europäisches Recht anwendbar sei. Freilich ist das letzte Wort damit noch nicht gesprochen, bis der EuGH Gelegenheit hatte, sich zu der Frage zu äußern.
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