EuGH: Recht auf Löschung von Links gegenüber Suchmaschinen

In einem Grundsatzurteil vom 8.12.2022 hat der EuGH das Recht auf Löschung und Vergessenwerden im Netz bekräftigt. Suchmaschinenbetreiber müssen Links zu Informationen auslisten, wenn der Antragsteller die Unrichtigkeit der Information nachweist.

In Beantwortung diverser Vorlagefragen des BGH hat der EuGH u.a. die Vorschriften der Art. 16, 17 DSGVO zum „Recht auf Löschung“ und zum „Recht auf Vergessenwerden“ unter Beachtung der EU-Grundrechte-Charta näher präzisiert.

Die für die Entscheidung maßgeblichen Vorschriften der DSGVO

Im Zentrum der Entscheidung des EuGH standen die Vorschriften der DSGVO zum Recht auf Berichtigung bzw. Löschung von Daten. Gemäß Art. 16 DSGVO können die von einer Datenverarbeitung betroffenen Personen von den Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten verlangen. Art. 17 DSGVO statuiert ein Recht auf Löschung unter Auflistung diverser Löschungstatbestände.

Klage gegen Google als Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung

Unter Bezugnahme auf diese Vorschriften der DSGVO hatte das Mitglied des Verwaltungsrats und Alleinaktionär einer Investmentgesellschaft gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, die bis Mai 2015 als Prokuristin eines angeschlossenen Unternehmens tätig war, die Betreiberin der Suchmaschine Google auf Löschung der bei Google als Suchergebnisse erscheinenden Links zu diversen Veröffentlichungen über die Unternehmensgruppe, darunter drei Fotos von der Person des Klägers in luxuriösem Ambiente, verklagt.

Verunglimpfende Fotos und Texte zum Zwecke der Erpressung?

Die Kläger beanstandeten die mit den Links erreichbaren Texte und Fotos als insgesamt unrichtig und irreführend. Die verlinkten Websites seien unseriös. Die Betreiber seien Erpresser, die die Betroffenen durch falsche Behauptungen zu Geldzahlungen bewegen wollten, um dann gegen Zahlung die falschen Nachrichten wieder zu löschen.

Klage vor den Instanzgerichten erfolglos

Erstinstanzlich wurde die Klage abgewiesen, die Berufung beim zuständigen OLG war erfolglos. Das OLG hatte u.a. argumentiert, der Betreiber der Suchmaschine stünde in keinem rechtlichen Verhältnis zu den Anbietern der verlinkten Inhalte. Deshalb sei die Ermittlung des Sachverhalts für die nach der DSGVO von einem Anbieter vorzunehmende Bewertung für die Betreiberin der Suchmaschine unverhältnismäßig schwierig. Darüber hinaus treffe denjenigen, der die Auslistung von Links begehre, die Beweislast für die Unrichtigkeit der veröffentlichen Tatsachen. Diesen Beweis hätten die Kläger nicht erbracht.

Vorlagebeschluss des BGH an den EuGH

Der in der Revision mit dem Fall befasste BGH kam zu dem Ergebnis, die Entscheidung über die Klage hänge u.a.  von der Auslegung diverser Vorschriften der DSGVO sowie der EU-Grundrechtecharta, insbesondere von Art. 8 der EU-Charta zum Schutz personenbezogener Daten, von Art. 7 EU-Charta auf Achtung des Privatlebens sowie dem durch Art. 11 EU-Charta geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung ab. Der BGH legte dem EuGH diverse Auslegungsfragen zur Beantwortung vor.

Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Recht auf freie Information

In seinem Urteil legt der EuGH auf die grundsätzliche Feststellung wert, dass das Recht auf Schutz personenbezogener Daten nicht uneingeschränkt gilt, sondern im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen andere Grundrechte abzuwägen sei. Dies bringe die Art. 17 Abs. 3 DSGVO auch selbst zum Ausdruck, indem er das Recht auf Löschung ausschließe, wenn die Verarbeitung für die Ausübung des Rechts auf freie Information erforderlich sei.

Kein Recht auf Zugang zu unrichtigen Informationen

Das Recht auf freie Information muss nach dem Urteil des EuGH demgegenüber immer dann zurücktreten, wenn ein für den Inhalt der Information nicht unbedeutender Teil der Information unrichtig ist. Die Beweislast für die Unrichtigkeit der Information trage die Person, die die Auslistung begehrt. An diesen Beweis dürften aber keine übermäßigen Anforderungen gestellt werden, insbesondere sei für den Nachweis keine gerichtliche Entscheidung über die Richtigkeit der Information erforderlich.

Keine aktive Ermittlungspflicht des Suchmaschinenbetreibers

Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen treffe den User insbesondere die Verpflichtung, den Betreiber der Suchmaschine über alle Umstände und Tatsachen, auf die er sein Auslistungsbegehren stützt, darzulegen. Der Betreiber der Suchmaschine müsse in die Lage versetzt werden, aufgrund der vorgebrachten Argumente die Plausibilität und Richtigkeit der beanstandeten Informationen zu prüfen. Der Betreiber sei demgegenüber nicht verpflichtet, bei der Ermittlung und Suche nach den für die Auslistung erheblichen Tatsachen selbst mitzuwirken.

User muss offensichtliche Unrichtigkeit der Information belegen

Eine Verpflichtung des Betreibers der Suchmaschine zur Auslistung des beanstandeten Links entsteht nach der Entscheidung des EuGH im Ergebnis dann, wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorgelegt hat, die ihr Begehren stützen und die belegen, dass die beanstandeten Informationen offensichtlich unrichtig sind. Sollte an anderer Stelle ein Rechtsstreit über die Richtigkeit der beanstandeten Informationen anhängig sein und dem Betreiber der Suchmaschine dies bekannt sein, so habe er darüber hinaus gegenüber den Internetnutzern eine Informationspflicht über den anhängigen Rechtsstreit zur Richtigkeit der Information.

Besondere Sensibilität bei Veröffentlichung von persönlichen Fotos erforderlich

Ergänzend wies der EuGH darauf hin, dass die veröffentlichen Fotos mit der Abbildung von Personen einen besonders starken Eingriff in die Rechte der abgebildeten Person auf Schutz des Privatlebens und der personenbezogenen Daten darstellen kann. Hinsichtlich der Fotos sei bei der Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interessen zu berücksichtigen, ob die Fotos lediglich den in einem Artikel enthaltenen Text veranschaulichen sollen oder ob es sich um Fotos (sog. „Thumbnails“) handelt, die außerhalb dieses Kontextes angezeigt werden. Insgesamt sei bei dieser Abwägung dem vorhandenen oder nicht vorhandenen Informationswert der Fotos besonderes Gewicht beizumessen.

Auf die offensichtliche Unrichtigkeit der Informationen kommt es an

Unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze, ist nunmehr wieder der BGH am Zug und muss über die Berechtigung der Revision entscheiden. Im Ergebnis dürfte Google zur Löschung der Links zu den Falschinformationen verpflichtet sein, falls der BGH die vorgelegten Beweise für die Unrichtigkeit der veröffentlichten Informationen für ausreichend erachtet.

(EuGH, Urteil v. 8.12.2022, C-460/20)

Hintergrund:

Sachlich bedeutet die jetzige Entscheidung des EuGH eine nähere Ausgestaltung und Präzisierung des sog. „Google-Urteils“ aus dem Jahr 2014. Mit diesem Urteil räumte der EuGH Privatpersonen das Recht ein, Suchmaschinenbetreiber zur Löschung von Links zu Webseiten Dritter aufzufordern. In seiner Entscheidung hatte der EuGH den Grundsatz aufgestellt, dass die Rechte einer von unrichtigen Informationen betroffenen Person auf Schutz der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten im allgemeinen gegenüber dem berechtigten Interesse der Internetnutzer auf freien Zugang zu Informationen den Vorrang genießen und nur bei Vorliegen besonderer Gründe zurückstehen müssen (EuGH, Urteil v. 13.5.2014, C-131/12).