BGH: Auskunftspflichten des ehemaligen GmbH-Geschäftsführers

Den ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH treffen auch nach Abberufung und Beendigung seines Anstellungsvertrages Auskunftspflichten gegenüber der GmbH. Der Umfang hängt vom konkreten Informationsbedürfnis der GmbH ab.

Hintergrund (vereinfacht dargestellt)

Die klagende GmbH begehrt von dem Beklagten, ihrem ehemaligen Gesellschafter-Geschäftsführer, in der Hauptsache Auskunft sowie Schadensersatz. Vor seiner Abberufung als (damals alleiniger) Geschäftsführer und der Beendigung seines Geschäftsführeranstellungsvertrages soll der Beklagte gemeinsam mit Dritten am 12.07.2017 an einer Versammlung der Mitarbeiter der klagenden GmbH zumindest teilgenommen haben, bei der den Mitarbeitern ein Konkurrenzunternehmen vorgestellt wurde und ihnen in Einzelgesprächen jeweils nahegelegt wurde, ihre Arbeitsverträge bei der Klägerin zu kündigen und identische Neuverträge bei dem Konkurrenzunternehmen zu gleichen Konditionen abzuschließen.

Die Klägerin, deren weiterer Geschäftsführer am 17.07.2017 (also nach dieser Mitarbeiterversammlung) bestellt wurde, verlangt vom Beklagten zunächst Auskunft über die Mitarbeiterversammlung vom 12.07.2017. Die GmbH behauptet, dass der Beklagte die Versammlung und die darauffolgenden Mitarbeiterkündigungen gesteuert oder zumindest geduldet habe. Jedenfalls sei er seiner Verpflichtung, Schaden von der Klägerin abzuwenden, nicht nachgekommen. Zudem habe der Beklagte an der Überleitung von Vertragsverhältnissen mit Kunden der Klägerin an das Konkurrenzunternehmen aktiv mitgewirkt. Der Beklagte wiederum hat entsprechenden Schriftverkehr mit Kunden damit erklärt, dass er – mangels Lieferfähigkeit der Klägerin wegen der Mitarbeiterkündigungen – hierdurch Schaden von der Klägerin abwenden wollte.

Das OLG Frankfurt als Vorinstanz hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin ihrer Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen sei: Die Klägerin habe nicht konkret dargelegt, ob und auf welche Weise der Beklagte an der Mitarbeiterversammlung vom 12.07.2017 beteiligt war oder ob er hiervon Kenntnis hatte. Zum Übergang von Kundenbeziehungen zum Konkurrenzunternehmen hat das OLG Frankfurt zudem konkreten Vortrag der Klägerin zu einem vorwerfbaren Verhalten des Beklagten vermisst.

Der Beschluss des BGH v. 22.6.2021 (II ZR 140/20)

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung zur Berufung hatte Erfolg. Der BGH hat den Rechtsstreit an das OLG Frankfurt zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe nämlich die Anforderungen, die an das klägerische Vorbringen zu stellen sind, überspannt und insofern gegen das prozessuale Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen. Macht eine GmbH Schadensersatzansprüche gegen ihren (ehemaligen) Geschäftsführer geltend, so hat sie (lediglich) darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass und inwieweit ihr ein Schaden durch ein potenziell pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers entstanden ist. Den Geschäftsführer wiederum trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, ihn kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.

Der Vortrag der Klägerin im entschiedenen Fall genügte diesen Anforderungen. Die vom OLG Frankfurt geforderte Darlegung durch die Klägerin, ob und auf welche Art der Beklagte an der Mitarbeiterversammlung beteiligt war oder hiervon Kenntnis hatte, ist nicht erforderlich, damit der klägerische Vortrag hinreichend substantiiert ist. Denn die Darlegung solcher genauen Umstände bringt eine GmbH typischerweise in Beweisnot. Als juristische Person, die von ihrem (damals alleinigen) Geschäftsführer verwaltet wird und durch ihn handelt, hat sie gar keine eigene Handhabe hinsichtlich solcher Umstände, die im Einflussbereich ihres Geschäftsführers liegen. In derartigen Konstellationen ist es zulässig und ausreichend, wenn eine GmbH ihre Behauptungen auf lediglich vermutete Tatsachen stützt. Bei den hier von der Klägerin behaupteten Tatsachen handelt es sich, so der BGH, auch nicht um willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellte (und somit nach der Rechtsprechung unbeachtliche) Behauptungen. Vielmehr waren sowohl die Mitarbeiterversammlung für sich genommen als auch die zeitlich eng beieinander liegenden Mitarbeiterkündigungen durchaus greifbare Anhaltspunkte für ein möglicherweise koordiniertes Vorgehen, auch unter Berücksichtigung der Mitwirkung des Beklagten an dem Übergang von Kundenbeziehungen an das Konkurrenzunternehmen. Auch der klägerische Vortrag zu letzterem Umstand genügt den Anforderungen an die Darlegungslast. Weitergehender Vortrag kann der Klägerin prozessual nicht abverlangt werden: Insbesondere liegt mit Blick auf den – unstreitigen – Schriftverkehr durch den Beklagten mit den Kunden ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten, das zu einem Schaden bei der Klägerin führte, nahe. Die Frage wiederum, ob der Beklagte tatsächlich nicht pflichtwidrig gehandelt hat, hat wiederum dieser – nach den oben genannten Maßstäben – darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen.

Abschließend stellt der BGH, auch mit Blick auf seine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, in seinem Beschluss die allgemeinen Grundsätze zu (nach-)vertraglichen Auskunftspflichten eines (ehemaligen) Geschäftsführers gegenüber der GmbH dar. Mit Blick auf den Umfang einer solchen Auskunftspflicht gilt demnach: Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist keine allgemeine Voraussetzung für die Auskunftspflicht. Vielmehr genügt bereits das generelle Interesse der Gesellschaft (beziehungsweise ihrer Gesellschafter), die Tätigkeit des Geschäftsführers zu kontrollieren. Inhalt und Grenzen der Auskunftspflicht müssen sich hierbei allerdings stets auf das konkrete Rechtsverhältnis beziehen und sich am Maßstab der Erforderlichkeit (für die erstrebte Rechtsdurchsetzung) und Zumutbarkeit (für den Geschäftsführer) orientieren. Bei einer Auskunft, die ein Schadensersatzbegehren gegen den Geschäftsführer vorbereiten soll, ergibt sich das Interesse der GmbH aus einem begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung und der Wahrscheinlichkeit eines daraus resultierenden Schadens. Eine Einschränkung der Auskunftspflicht in Fällen, in denen der Geschäftsführer mit der Auskunft eine eigene Pflichtverletzung offenbaren würde, existiert nicht.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH wirkt sich auf zwei Ebenen aus.

Einerseits bestätigt sie erfreulich deutlich die allgemein anerkannten Grundsätze der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Verhältnis zwischen einer GmbH und ihrem Geschäftsführer bei Schadensersatzforderungen wegen Pflichtverletzungen sowie darüber hinaus die allgemeinen Grundsätze zum Inhalt und Umfang einer (nach-)vertraglichen Auskunftspflicht des (ehemaligen) Geschäftsführers gegenüber der GmbH. Eine GmbH hat danach darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass es durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers zu einem Schaden bei ihr gekommen ist. Der Geschäftsführer hat wiederum darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass er tatsächlich nicht pflichtwidrig oder ohne Verschulden gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten entstanden wäre. Diese aus dem Aktiengesetz (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, siehe auch § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG) stammende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast weicht von den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ab, wird aber den tatsächlichen Gegebenheiten bei juristischen Personen in Organhaftungsfällen am ehesten gerecht. Denn der Geschäftsführer einer GmbH ist ihr Handlungsorgan: Ohne ihn wäre die GmbH insbesondere gegenüber Dritten erkenntnisunfähig und handlungsunfähig. Der Geschäftsführer, der für die GmbH „denkt und lenkt“, weiß über sein eigenes Verhalten, die Begleitumstände sowie die Beweggründe hierfür am besten Bescheid. Ihm ausnahmsweise aufzuerlegen, die Pflichtgemäßheit des eigenen Verhaltens darzulegen, erscheint daher sachgerecht und auch zumutbar. Die GmbH als rechtliches Konstrukt ist hingegen bereits rein faktisch nicht allein in der Lage, die entsprechenden Informationen selbst zu gewinnen. Zugleich trifft den Geschäftsführer eine entsprechende Pflicht, der GmbH gegenüber Auskunft über seine Tätigkeit für sie zu erteilen. Andernfalls wäre es der GmbH nicht nur unmöglich, etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer geltend zu machen, sondern auch dessen Tätigkeit insgesamt zu kontrollieren. Ein Recht des Geschäftsführers, für ihn ungünstige Umstände zu verschweigen, gibt es nicht – weder außergerichtlich noch in einem entsprechenden Zivilprozess. Der Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen, gilt insoweit, anders als im Strafprozess, nicht. Dies verdeutlicht einmal mehr, in welchem Spannungsverhältnis die Organe juristischer Personen stehen.

Andererseits konkretisiert der BGH in seinem Beschluss die prozessualen Anforderungen, die ein Gericht an die genannte Darlegungs- und Beweislast der klagenden GmbH (und damit die Schwelle für die „Beachtlichkeit“ des Vorbringens) stellen darf. Der begründete Verdacht eines möglicherweise pflichtwidrigen Verhaltens des Geschäftsführers, gestützt auf greifbare Anhaltspunkte, genügt hierfür. Die Zivilgerichte dürfen insofern keine überspannten Anforderungen an den Vortrag einer GmbH stellen und der Gesellschaft insbesondere keinen Tatsachenvortrag abverlangen, dessen Grundlage außerhalb ihres tatsächlichen Einflussbereichs (sondern im Gegenteil im Einflussbereich des Geschäftsführers) liegt.