GFF wendet sich gegen Vorbereitung der Volkszählung

Volkszählungen beunruhigen in Deutschland immer wieder die Bevölkerung. Die letzten fanden in 1983 und 2011 statt und haben besonders 1983 zu erheblichen Protesten geführt. Auch oder gerade (DSGVO) jetzt haben sich Datenschützer formiert und kritisieren insbesondere den für Mitte Januar bis Mitte Februar 2019 angesetzten Zensus-Probelauf wegen fehlender Anonymisierung. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat das BVerfG angerufen.

Die Volkszählung 1983 hat zu einer grundlegenden Klärung der Rechtmäßigkeit von Volkszählungen durch das BVerfG geführt. Die Verfassungsrichter haben in ihrem Grundsatzurteil dem Staat klare Grenzen für eine umfassende Datenerhebung aufgezeigt, gleichzeitig aber auch Volkszählungen für grundsätzlich zulässig erklärt.

Anlässlich der Volkszählung 1983 entwickelte das BVerfG das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

In seiner damaligen Entscheidung begründete das BVerfG das Datenschutzgrundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und setzte dem Staat und der Wirtschaft damit deutliche Stoppschilder beim Sammeln und Auswerten persönlicher Informationen.

  • Eine unbeschränkte und nicht durch das Allgemeinwohl gerechtfertigte Erfassung von Daten einer Person verletzt hiernach deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung,
  • das als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Art. 2 Abs. 1 GG Verfassungsrang genießt (BVerfG, Urteil v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83).

BVerfG erklärte Volkszählung 2011 für zulässig

Nach dem komplexen Urteil zur Volkszählung 1983 hat sich der Staat 25 Jahre nicht an eine Volkszählung herangetraut und erst im Jahr 2011 einen weiteren Zensus durchgeführt. Auch damals wurde wieder das BVerfG angerufen, das die Volkszählung aber für zulässig und verfassungskonform erklärte (BVerfG, Urteil v. 19.9.2018, 2 BvF 1/15 u. 2/15).

Gesetz zur Vorbereitung der Volkszählung 2021

Zum Zwecke der Vorbereitung der Volkszählung 2021 hat der Bundestag das Zensusvorbereitungsgesetz (ZensVorbG 2021) bereits am 3.3.2017 verabschiedet.

  • Gemäß § 1 ZensVorbG 2021 wird der Zensus 2021 als eine Kombination aus Bevölkerungszählung und Erfassung des Bestandes an Gebäuden mit Wohnraum und Wohnungen durchgeführt.
  • Das Statistische Bundesamt wurde damit beauftragt, den Zensus methodisch vorzubereiten und für eine einheitliche und termingerechte Durchführung zu sorgen, § 2 ZensVorbG.
  • Gemäß § 3 ZensVorbG wird ein Steuerungsregister angelegt werden, das den Bestand an Anschriften von Auskunftspflichtigen sowie weitere Steuerungsmerkmale,
  • die dafür zu verwendenden Datenquellen und deren Merkmale einschließlich der Übermittlung und Speicherung (§§ 8 – 15 ZensVorbG)
  • sowie die Löschung (§ 16 ZensVorbG) regelt.

Als neue Datenquelle wird beim Zensus 2021 das mit einem bundesweit einheitlichen Grunddatenbestand versehene „Amtliche Liegenschaftskataster Informationssystem“ (ALKIS) der Vermessungsbehörden genutzt. 

Auch Grundsteuer- und Grundbuchdaten können abgerufen werden.

Meldeämter zur Datenübermittlung verpflichtet

Gemäß § 9 ZensVorbG übermitteln die nach Landesrecht zuständigen Behörden für das Meldewesen den statistischen Ämtern der Länder Daten über die bei ihnen gemeldeten Einwohner. Dazu gehören

  • Name und Anschrift,
  • Daten zum Geschlecht,
  • zum Familienstand,
  • zum Wohnungsstatus und ähnliches.
  • Diese Daten bilden gemäß § 10 ZensVorbG den Grundbestand des Steuerungsregisters.

Datenschutz bisher nur rudimentär geregelt

Der Aufbau des Steuerungsregisters hat bereits Ende 2017 begonnen mit Datenlieferungen aus den Melderegistern an die Statistischen Landesämter.

  • Gemäß § 14 sollen die Datenübermittlungen so durchgeführt werden, dass Unbefugte hierauf keinen Zugriff haben,
  • Daten der Bundesagentur für Arbeit dürfen anders als beim Zensus 2011 nicht mehr verwendet werden.

Parlament hat kurzfristig den Volkszählungs-Testlauf eröffnet

Jetzt hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) das BVerfG angerufen. Anlass war der im Dezember 2018

  • vom Bundestag kurzfristig eingeführte § 9a ZensVorbG,
  • wonach zur Vorbereitung des registergestützten Zensus
  • ein Testlauf zur Prüfung der Übermittlungswege und der Qualität der übermittelten Daten aus dem Melderegistern ermöglicht wurde.

Hiernach sollen die nach Landesrecht für das Meldewesen zuständigen Stellen den statistischen Ämtern der Länder bezogen auf den Stichtag 13.1.2019 die im Gesetz im einzelnen aufgeführten Daten während der auf den Stichtag folgenden vier Wochen übermitteln.

Gesellschaft für Freiheitsrechte will Testlauf wegen fehllender Anonymisierung stoppen

Die GFF will den geplanten Testlauf verhindern, weil eine große Zahl echter Daten wie Name, Geschlecht, Familienstand, Religionszugehörigkeit ohne Anonymisierung gespeichert werden soll.

  • Die fehlende Anonymisierung hält die GFF für unzulässig
  • und rügt einen Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
  • Die GFF sieht auch in der vorgegebenen zweijährigen Speicherdauer ein überflüssiges Risiko
  • und befürchtet, dass unbefugte Dritte sich dort echte Daten von bis zu 82 Millionen Menschen beschaffen könnten.

Auch sei derzeit völlig unklar, wer unter welchen Bedingungen welche Informationen wie lange für welche genauen Arbeitsschritte nutzen dürfe.

Staat pocht auf EU-Vorgaben und größtmögliche Qualität der Datenerhebung

Der Staat verweist demgegenüber auf die Notwendigkeit einer qualitativ hochwertigen Datenerhebung 2021, die einen aussagekräftigen Testlauf erfordere.

  • Schließlich werde mit der Volkszählung die EU-weite Verpflichtung der EU-VO Nr.  712/2017 erfüllt, wonach der Zensus 2021 für alle EU-Staaten verbindlich ist.
  • Die ermittelten Bevölkerungszahlen sollten unter anderem auch dazu beitragen, Wahlkreise neu einzuteilen und die Stimmverteilung der Länder im Bundesrat festzulegen.
  • Die Rechengrundlagen für den Länderfinanzausgleich,
  • die Grundlagen für die Berechnungen der Verteilung von EU-Fördermitteln
  • und auch die Verteilung von Steuermitteln sollten damit auf den aktuellen Stand gebracht werden.

Diese Ziele seien nur erreichbar, wenn eine hohe Sicherheit für die Richtigkeit der zu erhebenden Daten erreicht werde. Hierfür sei der Testlauf unabdingbar.

BVerfG soll über die Rechtmäßigkeit des Testlaufs entscheiden

Das BVerfG soll nach dem Antrag der GFF im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens darüber entscheiden, ob die Erhebung echter, nicht anonymisierter Daten im Rahmen eines Testlaufs das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt oder ob das Ziel der Bundesregierung - wie die GFF argumentiert - auch in einem Testlauf mit anonymisierten Daten erreichbar wäre.

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Hintergrund: 

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, mit strategischen Klagen Grund- und Menschenrechte Grundsatzentscheidungen zur Stärkung der Grund- und Menschenrechte zu erwirken.
Die GFF arbeitet daran, die Lage der Grundrechte in Deutschland und Europa zu verbessern. Dazu betreibt sie strategische Prozessführung mit dem Fokus, Freiheitsrechte gegen staatliche Verletzungen zu stärken. Die GFF entstand als Zusammenschluss von Juristen und Netzpolitikern.

Geklagt hat sie u.a. für eine sichere Verschlüsselung des beA und die gegen heimliche Online-Durchsuchungen mit Staatstrojanern.