BVerfG hebt Verurteilung eines Anwalts wegen Beleidigung auf

Darf ein Anwalt eine Staatsanwältin gegenüber einem Journalisten als „durchgeknallt“ bezeichnen? Grundsätzlich nicht, meinte das Bundesverfassungsgericht und hob das Strafurteil gleichwohl auf. Dabei beschäftigt es sich ausführlich mit Schmähkritik und Meinungsfreiheit.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vertrat als Strafverteidiger den Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Spendengeldern.

Anwalt und Staatsanwältin streiten bei Haftbefehlsverkündung

Nachdem gegen den Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden war, kam es bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der mit dem Verfahren betrauten Staatsanwältin und dem Beschwerdeführer, der der Ansicht war, dass sein Mandant zu Unrecht verfolgt wurde.

Dann kam die Presse ins Spiel

Am Abend desselben Tages meldete sich ein Journalist, der eine Reportage über den Beschuldigten plante, telefonisch beim Beschwerdeführer. Doch der Anwalt wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete im Laufe des Telefonats die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter anderem als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“.

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 Euro. Die Revision des Beschwerdeführers war erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

Bundesverfassungsgericht fasst Schmähkritik eng

Das sahen die Verfassungsrichter in Karlsruhe genauso. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schütze nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr dürfe Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts sei der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen.

Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet“,

betonen die höchsten deutschen Richter.

Werde eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liege darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden dürfe.

Strenge Anforderungen an Schmähkritik

Einen Sonderfall bildeten herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. In diesen Fällen sei ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktrete. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber laut Richterspruch, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.

„Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.“

Verwendungskontext berücksichtigen

Das Landgericht gehe bei seiner Verurteilung ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen einer Schmähkritik aus. Zwar seien die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen.

„Die angegriffenen Entscheidungen legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand“,

kritisiert das Bundesverfassungsgericht. Es hätte insoweit näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren.

Solange solche Feststellungen nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind, hätte das Landgericht den Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. An dieser fehle es hier. Auch das Kammergericht habe diese nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich auf eine „noch hinreichende“ Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht stattgefunden hat.

Anwalt nicht berechtigt, Staatsanwältin gegenüber der Presse zu beschimpfen

Die Gerichte haben nunmehr nach diesen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erneut über die strafrechtliche Beurteilung der Äußerung im Rahmen einer Abwägung zu entscheiden.

„Dabei ist freilich festzuhalten, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen“,

meinte das Gericht, nicht ohne gleichzeitig aber zu betonen, dass die insoweit gebotene Abwägung, die sich gegebenenfalls auch auf die Strafzumessung auswirkt, den Fachgerichten obliege.

(BVerfG, Beschluss v. 29.6.2016, 1 BvR 2646/15)

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