BVerfG hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt

Das BVerfG hat mit seinem Urteil das Recht auf selbstbestimmten Tod eindeutig gestärkt und § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt. Die Verordnung eines tödlichen Medikaments durch Ärzte und die einen Suizid vorbereitende Tätigkeit von Sterbehilfevereinen sind ab sofort zulässig. Das Urteil wird gelobt, aber auch teilweise als zu weit gehend kritisiert. 

Das vom GG garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit umfasst auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Dies wiederum beinhaltet auch das Recht auf professionelle Sterbehilfe. Die Entscheidung des BVerfG ist überraschend klar und eindeutig und führt zur sofortigen Unwirksamkeit der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Sterbehilfe nach § 217 StGB.

Zurückdrängung von Sterbehilfevereinen war ein Gesetzesziel

§ 217 StGB stellt die geschäftsmäßige, auf Wiederholung angelegte Beihilfe zum Suizid unter Strafe. Erst im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber diese Vorschrift ins StGB eingeführt. Nach einer heftigen und sehr strittigen Debatte im Bundestag hatte damals die Mehrzahl der Abgeordneten nach Aufhebung des Fraktionszwangs für das Verbot gestimmt.

Hintergrund war eine sich auch in Deutschland ausbreitende Tätigkeit von Sterbehilfevereinen nach Schweizer Vorbild. Viele Parlamentarier sahen darin die Gefahr, dass Menschen am Ende ihres Lebens zum Sterben gedrängt würden, weil sie anderen zur Last fallen oder Kosten verursachen. Außerdem wollte man verhindern, dass die Beendigung des Lebens zu einem „normalen Geschäftsmodell“ der deutschen Gesellschaft werde.

§ 217 StGB geht weit über die legitimen Ziele des Gesetzgebers hinaus

Nach Auffassung der Verfassungsrichter waren die mit dem Gesetz verfolgten Ziele zwar nicht grundsätzlich illegitim, jedoch sei der Gesetzgeber mit der Fassung des § 217 StGB deutlich über das Ziel hinaus geschossen. Nach der Formulierung des Gesetzes wurde nämlich nicht nur die gewerbsmäßige Hilfe zum Suizid durch Sterbehilfevereine, sondern auch die geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid - und damit auch die Verschreibung einer zum Tode führenden Injektion durch einen behandelnden Arzt - unter Strafe gestellt. Die Strafvorschrift umfasste übrigens auch die suizidbezogene Beratung durch Rechtsanwälte.

Selbstbestimmt leben heißt auch selbstbestimmt sterben

Mit diesem weitreichenden Verbot verletzt § 217 StGB nach dem jetzigen Urteil des BVerfG das Recht des einzelnen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dieses umfasse das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und in letzter Konsequenz auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, so die höchsten deutschen Richter.

Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, unterliege höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen. Der Entschluss zur Selbsttötung betreffe die Grundfragen menschlichen Daseins und berühre wie keine andere Entscheidung die Identität und Individualität eines Menschen. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben umfasst nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts daher auch das Recht jedes einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden.

BVerfG postuliert ein Recht zum Sterben in jeder Lebensphase

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts darf der Gesetzgeber daher auch nicht das Vorliegen einer schweren, zum Tode führende Krankheit oder eines bestimmten Grades an körperlichen oder seelischen Qualen zur Voraussetzung für die erlaubte Suizidhilfe machen.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestehe in jeder Lebensphase eines Menschen, unabhängig davon, ob Außenstehende den Wunsch für gerechtfertigt oder moralisch verwerflich halten. Auch in diesem Punkt garantiere das im GG verankerte Persönlichkeitsrecht die freie Entscheidung und Selbstverantwortung des Menschen über seinen Tod. Die Wahrnehmung des Rechts jedes einzelnen, entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, gehöre zum Kernbereich des Schutzes der Selbstbestimmung und damit der Würde jedes einzelnen im Sinne von Art. 1 GG.

§ 217 StGB verhindert selbstbestimmtes Sterben

Nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts hat die Strafvorschrift des § 217 StGB faktisch die Wirkung eines Suizidverbots. Nach dieser Vorschrift stünden einem Sterbenden keine realistischen Möglichkeiten zur Verfügung, sich das Leben zu nehmen. Damit werde ihm - so die Richter - das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben letztlich genommen. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verletze daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Breites Spektrum des Gesetzgebers zur Regulierung der Suizidhilfe

Das höchste deutsche Gericht eröffnete dem Gesetzgeber dennoch grundsätzlich den Weg, die Sterbehilfe und deren Voraussetzungen zu regeln. Der Gesetzgeber dürfe dabei aber nicht die Motive oder religiösen Hintergründe der Entscheidung eines Sterbewilligen bewerten. Er müsse ihm Raum zur Entfaltung einer selbstbestimmten Entscheidung lassen. Der Gesetzgeber und die Gesellschaft dürften auch alles versuchen, den Sterbewilligen umzustimmen. Dies könne unter anderem geschehen

  • durch Einführung einer Beratungspflicht,
  • durch Einführung einer Bedenkenfrist nach erfolgter Beratung,
  • durch Aufklärungspflichten für Ärzte und andere Berufsgruppen,
  • durch Überprüfung der Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten.
  • Auch dürfe der Gesetzgeber durch Verfahrensvorschriften sicherstellen, dass der Betroffene seine Entscheidung frei und ohne Druck Dritter und frei von äußeren Zwängen trifft.
  • Der Gesetzgeber dürfe Suizidprävention betreiben und beispielsweise die Palliativmedizin stärken.

In letzter Konsequenz müsse der Gesetzgeber aber die Entscheidung eines Sterbewilligen als einen Akt autonomer Selbstbestimmung akzeptieren und respektieren.

§ 217 StGB verletzt auch Grundrechte der Suizidassistenten

§ 217 StGB verletzt nach der Entscheidung des Gerichts auch die Grundrechte von Personen und Vereinigungen (Sterbehilfevereine), die Suizidhilfe leisten möchten. Der verfassungsrechtliche Schutz des durch § 217 StGB unter Strafe gestellten Handelns ergebe sich auch aus einer funktionalen Verschränkung der Grundrechte von suizidhilfeleistenden Personen und Vereinigungen (Art. 12 Abs. 1 GG) mit dem Recht einzelner auf ein selbstbestimmtes Sterben (Art. 2 Abs. 1 GG).

Da die Entscheidung zur Selbsttötung ihrer Umsetzung nach davon abhängig sei, dass Dritte bereit sind, die Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln, müssten Dritte ihre Bereitschaft zur Suizidhilfe auch rechtlich umsetzen dürfen. Die Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiere daher mit einem entsprechend weitreichenden grundgesetzlichen Schutz des Handels von Suizidassistenten. Im Ergebnis verletze die Strafbarkeit gemäß § 217 StGB daher auch die Suizidhelfer in ihrem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

(BVerfG, Urteil v. 26.2.2020, 2 BvR 2347/15; 2 BvR 2354/16; 2 BvR 1593/16; 2 BvR 651/16; 2 BvR 1261/16)

Gesundheitsminister Spahn muss spätestens nun  seine Haltung zum Suizid und zum Recht überprüfen

Bisher torpedierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2017. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hatte dort - im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem jetzt ergangenen Urteil des BVerfG - entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten umfasst, selbst zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt er sein Leben beenden will. Im Einzelfall könne sich daraus ergeben, dass ihm der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht (BVerwG, Urteil v. 2.3.2017, 3 C 19.15).

Der Bundesgesundheitsminister hatte entgegen der gerichtlichen Entscheidung das zuständige Bundesinstitut angewiesen, solche Betäubungsmittel zu diesem Zweck nicht freizugeben. Dies dürfte nach dem jetzigen Urteil endgültig nicht mehr zulässig sein.

Weitere News zum Thema:

BVerwG: Zugang zu Betäubungsmitteln zur Selbsttötung ist in extremen Ausnahmefällen erlaubt

Kein Recht auf die Erlaubnis zum Erwerb lebensbeendender Betäubungsmittel

Anmerkung: Gespaltenes Echo - geht das Urteil zu weit?

Das Urteil,  das das Persönlichkeitsrechts auch im Hinblick auf den Wunsch zu Sterben stärkt, hat ein unterschiedliches Echo gefunden. Es wird teils als mutig gelobt, die persönliche Freiheit für die Entscheidung über das Ende des eigenen Lebens zu stärken. Von anderen Seiten wird kritisiert, dass der Grund, aus dem Leben scheiden zu wollen, in keiner Weise hinterfragt werden soll.

Nicht zuletzt wird befürchtet, das Urteil können die Sorge und Angst hilfs- und pflegebedürftiger sowie alter Menschen, eine Last oder nur geduldet zu sein, verschärfen und dieses könnte durch geschäftsmäßige Aktivitäten genutzt werden. Das Urteil habe den Schritt zum freiwilligen Tod möglicherweise zu sehr banalisiert.

Hintergrund: Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe begeht, wer einen Menschen auf dessen Wunsch aktiv tötet, beispielsweise durch Verabreichung eines tödlichen Medikaments. Aktive Sterbehilfe ist gemäß § 216 StGB als Tötung auf Verlangen strafbar.

Die nicht strafbare passive Sterbehilfe liegt vor, wenn lebenserhaltende Maßnahmen auf Wunsch des Patienten abgebrochen oder unterlassen werden, wie die künstliche Beatmung.

Von indirekter Sterbehilfe spricht man bei Verabreichung von schmerzlindernden Medikamenten, die die Lebensdauer des Patienten verringern können. Der Todeseintritt wird als unvermeidbare Nebenwirkung der Schmerzlinderung billigend in Kauf aufgenommen. Auch die indirekte Sterbehilfe ist nicht strafbar.

Beihilfe zum Suizid ist die Ermöglichung der Selbsttötung beispielsweise durch Aushändigung eines tödlichen Medikaments, das der Patient selbst einnimmt.

Schlagworte zum Thema:  Sterbehilfe, Menschenrecht