Erwerb lebensbeendender Betäubungsmittel

Das VG Köln bemühte sich in einer grundlegenden Entscheidung um einen Spagat zwischen dem Recht auf einen selbstbestimmten Tod und der Vorenthaltung einer lebensbeendenden Menge von Betäubungsmitteln.

Das VG Köln hatte über die schwierige Frage zu entscheiden, ob Menschen ein Recht haben, Betäubungsmittel in einer Art und Menge zu erwerben, die geeignet ist, einen von ihnen gewünschten Suizid zu vollziehen. Die in den Jahren 1937 und 1944 geborenen Eheleute sind seit 1968 verheiratet, haben drei erwachsene Söhne und vier Enkelkinder. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragten sie die Erlaubnis zum Erwerb von jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital in der erklärten Absicht, mit diesem Betäubungsmittel ihr Leben zu beenden.

Suizid zur Vermeidung altersbedingter Beschwerden

Zur Begründung verwiesen Sie darauf, nach einer langen und glücklichen Ehezeit seien sie nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis gekommen, sich und ihren Angehörigen einen qualvollen Tod oder jahrelangen körperlichen und geistigen Verfall ersparen zu können. Zwar seien sie noch nicht akut erkrankt, jedoch zeige sich insbesondere bei dem Ehemann bereits ein Nachlassen der körperlichen und geistigen Kräfte.

Antragsteller reklamieren ein Recht auf selbstbestimmten Tod

Die Antragsteller beriefen sich auf die ihnen nach dem Grundgesetz zustehende unantastbare Menschenwürde, aus der sie das Recht ableiteten, über ihren Tod selbst bestimmen zu können und einen Ausweg und aus dem Leben ohne Schmerzen und Zwang wählen zu dürfen. Auch Art. 8 EMRK garantiere das Recht auf einen selbstbestimmten Tod.

Das BtMG dient dem Leben, nicht dem Tod

Das BfArM lehnte die Anträge ab. Die Behörde wies darauf hin, dass eine Erlaubnis nicht mit dem Zweck des BtMG vereinbar sei. Der Schutzzweck des BtMG sei darauf ausgerichtet, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor schädlichen Auswirkungen von Betäubungsmitteln zu schützen. Die von den Antragstellern beabsichtigte Selbsttötung stehe diesem Zweck diametral entgegen.

Beihilfe zur Selbsttötung durch Ärzte überwiegend unzulässig

Gegen diese Entscheidung gingen die Eheleute gerichtlich vor. Das angerufene VG verwies zunächst auf  § 3 Abs. 1 BtMG, wonach für den Erwerb des beantragten Betäubungsmittels grundsätzlich eine Erlaubnis erforderlich sei. Die Erteilung einer Erlaubnis sei aber nur möglich für eine solche Menge an Betäubungsmitteln, die der Gesundheit bzw. Linderung von Schmerzen dienlich seien. Die Verordnung einer Betäubungsmittelmenge, mit der der Tod herbeigeführt werden könne und solle, sei nach dem BtMG dagegen nicht zulässig. Dies folge schon daraus, dass nach der überwiegenden Zahl der landesrechtlichen Berufsordnungen der Ärztekammern die Beihilfe zur Selbsttötung von Patienten verboten sei (OVG Münster, Urteil v. 19. 8.2015, 13 A 1299/14).

Selbsttötung ist nicht Bestandteil der notwendigen medizinischen Versorgung

Darüber hinaus verwies das VG auf § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, wonach die Erteilung einer Erlaubnis zwingend zu versagen ist, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar ist. Das BfArM habe zurecht darauf hingewiesen, dass der Zweck des BtMG darin bestehe, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und dem Missbrauch von Betäubungsmitteln entgegenzuwirken. Eine Selbsttötung sei grundsätzlich nicht Gegenstand der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung, da sie nicht der Heilung von Krankheiten oder Linderung von Schmerzen, sondern der Beendigung des Lebens und damit dem Gegenteil diene.

Eine regelmäßige Unterstützung von Selbsttötungen ist rechtswidrig

Das Gericht bezog sich zur Begründung seiner Entscheidung darüber hinaus auf das durch Beschluss des Bundestages vom 6.11.2015 verabschiedete „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Mit diesem Gesetz sei der Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in die Vorschrift des § 217 StGB eingeführt worden. Zwar werde durch dieses Gesetz das Betäubungsmittelrecht nicht geändert, jedoch werde die planmäßige Förderung der Selbsttötung - auch unter Verschaffung von Betäubungsmitteln - durch Einzelpersonen und Organisationen unter Strafe gestellt. Eine in bestimmten Fällen erteilte Erlaubnis der Behörden zum Erwerb von Betäubungsmitteln zum Zweck der Selbsttötung stehe dem Sinn und Zweck des neuen Gesetzes diametral entgegen, so dass auch unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung die Erteilung solcher Erlaubnisse nicht rechtens sein könne.

VG erkennt Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod an

Das VG ging ausdrücklich darauf ein, dass der Gesetzgeber ein Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Absatz 1 GG anerkenne. Dieses Recht sei jedoch eingeschränkt in der Weise, dass eine geschäftsmäßige, d.h. wiederholte Suizidbeihilfe, nicht zulässig sei. Die von den Klägern vertretene Rechtsauffassung würde nach Auffassung des VG im Ergebnis zu einer Verwaltungspraxis führen, die dann regelmäßig und wiederholt Suizidwillige in ihrem Tun unterstütze. Dies berge die Gefahr einer gesellschaftlichen Normalisierung der Sterbehilfe. Genau das habe der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ausschließen wollen. Alte und kranke Menschen, die sich häufig als Last der Gesellschaft und ihrer Angehörigen empfänden, sollten nicht einem auch nur entfernt möglichen Erwartungsdruck ihrer Umgebung ausgesetzt werden, aus dem Leben zu scheiden.

Die EMRK zwingt den Gesetzgeber nicht, Möglichkeiten zur Selbsttötung zu gewähren

Nach Auffassung des VG folgt eine andere Sichtweise auch nicht aus Artikel 8 EMRK. Nach der Rechtsprechung des EGMR gewähre diese Vorschrift zwar auch ein Selbstbestimmungsrecht über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Todes. Nach der Rechtsprechung des EGMR würden mit dieser Vorschrift aber positive Schutzpflichten des Staates geregelt, nicht dagegen eine Verpflichtung des Staates todbringende Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR habe der Staat einen Ermessensspielraum, das Selbstbestimmungsrecht eines Sterbewilligen und die Schutzpflichten des Staates für das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Innerhalb dieses Ermessensspielraums sei kein Staat verpflichtet, seinen Staatsbürgern Hilfsmittel zur Selbsttötung aktiv zur Verfügung zu stellen (EGMR, Urteil v. 20.1.2011,  31322/07; EGMR, Urteil vom 19.7.2012,  497/09).

Beihilfe zum Suizid ist nicht Bestandteil einer solidarischen Gesellschaft

Schließlich verwies das Gericht auf den Grundsatz, dass in einer sorgenden und solidarischen Gesellschaft die Antwort auf Einsamkeit Leid und Not nicht der assistierte Suizid sein könne. Die Versagung der Erlaubnis zum Erwerb bestimmter tödlicher Betäubungsmittel lasse im übrigen die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen, auf andere Weise über ihren Tod selbst zu bestimmen, unberührt.

(VG Köln, Urteil v. 15.12.2015, 7 K 14/15).

Vgl. zu dem Thema auch:

Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen

Kein Cannabis von der Krankenkasse


Versicherung trägt Beweislast für eine Selbsttötung des Versicherten

Haftung nach Selbstmordversuch - auch potentielle Selbstmörder müssen Rücksicht nehmen

Schlagworte zum Thema:  Sterbehilfe, Menschenrecht