Gericht darf Rechtsauffassung nicht ohne Hinweis ändern

Ein Gericht darf im Laufe eines Verfahrens seine Rechtsauffassungen nicht ändern, wie die sprichwörtliche Unterwäsche. Heute Hü und morgen Hott geht nicht - das hat mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wenig zu tun. Darum stehen die Chancen für betroffene Parteien und ihre Anwälte nach einer neuen BGH-Entscheidung gut, Überraschungsentscheidungen wieder aus der Welt zu bekommen.

Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so darf es diese Frage im Urteil nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden, ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen. Dabei muss ihnen auch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Das hat der BGH im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen nach einem Verkehrsunfall entschieden.

Manipulierten Unfall: ja oder nein?

Ein Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall Reparaturkosten in Höhe von 25.000 EUR eingeklagt, die erstinstanzlich wegen eines manipulierten Unfalls abgewiesen worden waren. Die Berufungsinstanz dagegen verurteilte den Beklagten zur Zahlung des Unfallschadens. Und das, obwohl das Berufungsgericht in einer eigenen Verfügung sowie in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Berufung des Klägers unbegründet sein dürfte.

Das Landgericht sei zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall zahlreiche typische Indizien vorlägen, die für das Vorliegen eines manipulierten Unfalls sprächen. Die Häufung derartiger manipulationstypischer Umstände lasse keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich um einen gestellten Unfall gehandelt haben dürfte.

BGH rückt das Fehlurteil wieder gerade

Der BGH hob die zweitinstanzliche Entscheidung wieder auf. Das Berufsgericht habe das Recht des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art 103 Absatz 1 GG verletzt. Der Artikel räumt dem Einzelnen das Recht ein, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können.

Parteien müssen wissen, in welche Richtung die Verfahrens-Reise geht

„Zwar muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag hierauf einstellen. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs setzt aber voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen kann, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann“, betonte das Gericht.

Rechtliche Hinweise sind kein reiner Smalltalk

Erteile das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so dürfe es diese Frage im Urteil nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden, ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.

Das angegriffene Urteil beruht nach Ansicht des Gerichts auch auf diesem Gehörsverstoß. Es sei nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht seine Rechtsauffassung überdacht hätte, wenn der Beklagte Gelegenheit gehabt hätte, auf die gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts sprechenden Gesichtspunkte hinzuweisen.

(BGH, Beschluss vom 29.4.2014, VI ZR 530/12).

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

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