Besetzungsrüge: Richterin muss Mutterschutzzeit voll ausschöpfen

Am Landgericht Darmstadt muss ein fast zwei Jahre andauernder Strafprozess nach einer Entscheidung des BGH neu aufgerollt werden, weil eine schwangere Richterin nach der Entbindung wieder zu früh auf dem Richterstuhl Platz nahm und die Strafkammer versäumt hatte, einen Ergänzungsrichter zu installieren. 

Die Begründung der Karlsruher Richter ist ebenso knapp wie verständlich gehalten: Die Mitwirkung einer Richterin während des gesetzlichen Mutterschutzes führe zur fehlerhaften Besetzung einer Strafkammer in der Hauptverhandlung.

Absolutes Dienstleistungsverbot im gesetzlichen Mutterschutz

Für den Zeitraum des gesetzlichen Mutterschutzes bestehe ein absolutes Dienstleistungsverbot. Hier war die Strafkammer mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt worden. Ein Ergänzungsrichter war nicht hinzugezogen worden. Eine Richterin wurde im Lauf der Hauptverhandlung schwanger.

  • Zwischen Weihnachten und Neujahr war die Hauptverhandlung unterbrochen worden.
  • Obwohl die Richterin in dieser Zeit ein Kind entbunden hatte, wurden hierzu auf Nachfrage der Verteidiger keine Auskünfte erteilt.

Stattdessen business as usual: Die Hauptverhandlung wurde am 3. Januar 2014 mit der Verkündung von Beschlüssen fortgesetzt. Danach unterbrach sie der Vorsitzende wieder bis zum 31. Januar 2014.

Besetzungseinwand erhoben

Die Verteidiger erhoben einen Besetzungseinwand, den die Strafkammer durch Beschluss zurückwies. Begründung:

  • Zwar dürfen Mütter nach § 6 Absatz 1 Mutterschutzgesetz bis zum Ablauf von acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden.
  • Bei dieser Vorschrift handele es sich aber nicht um eine Regelung über die Besetzung des Gerichts.
  • Der Richterin stehe aufgrund ihrer Unabhängigkeit die Ausübung des Richteramts in der Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes frei, weshalb ihr ein überobligationsmäßiger Einsatz nicht untersagt werden könne. 

Dies sah der Bundesgerichtshof völlig anders.

Verstoß gegen absolutes Dienstleistungsverbot = absoluter Revisionsgrund

Aus § 6 Abs. 1 MuSchG in Verbindung mit Überleitungsregeln des Landesrechts folge ein absolutes Dienstleistungsverbot. Es stehe deshalb nicht im Belieben der Richterin, ob sie von dem gesetzlichen Mutterschutz Gebrauch mache oder darauf verzichte.

Der § 6 Abs. 1 Mutterschutzgesetz wolle der Mutter gerade diesen Entscheidungsdruck für die Zeit nach der Entbindung nehmen. Konsequenz aus der Entscheidung: Die Fortsetzung einer Hauptverhandlung in der Mutterschutzfrist führt zu einem Besetzungsfehler des Gerichts, der einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 338 Nr. 1 StPO begründet.

(BGH, Urteil vom 7.11.2016, 2 StR 9/15).



Hintergrundwissen:

Die Überprüfung der Besetzung des Gerichts durch den Verteidiger ist zumindest aus zwei Gründen unentbehrlich:

  • Zum einen garantiert sie das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und
  • zum anderen sichert sie ihm die Möglichkeit der Revision mit dem absoluten Revisionsgrund der Besetzungsrüge, § 338 Nr. 1 StPO.
  • Die Besetzungsrüge ist jedoch unzulässig, wenn der Besetzungseinwand nicht erhoben wurde, obwohl der Besetzungsfehler objektiv erkennbar war. Man spricht insoweit von der sog. Rügepräklusion gem. § 222b StPO.

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