Schmerzensgeld wegen vergessener OP-Nadel

Im Gesetz ist keine Pflicht verankert, die OP-Instrumente zu zählen, bevor die Wunde wieder vernäht wird. Dennoch sah das OLG Stuttgart eindeutig einen Behandlungsfehler, nachdem das OP-Team eines Bundeskrankenhauses versehentlich eine Nadel in der Patientin hinterließ.

Vergessen Operationswerkzeuge, die im Körper verbleiben, sind ein Albtraum für jeden OP-Patienten. Kliniken sehen das manchmal nicht ganz so eng.

Nicht nachgezählt: Nierensteinoperation mit spitzem Andenken

Eine Mittzwanzigerin aus Aalen musste sich einer Nierensteinoperation unterziehen. Für diesen Eingriff, der im März 2014 vorgenommen wurde, suchte sie sich ein Krankenhaus mit besonders gutem Ruf aus: das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Die OP verlief soweit wie geplant. Allerdings entdeckte man bei einer Röntgennachuntersuchung eine fast zwei Zentimeter lange Nadel im Lendenmuskel der Patientin, die dort nicht hingehörte und offenbar ein unbeabsichtigtes Souvenir von der OP war.

Eingeschränkte Bewegungen

Erst zwei Monate später unterrichtete man die Betroffene hiervon. Der Rat der Ärzte ist, die Nadel da zu lassen wo sie ist, weil die OP zur Entfernung zu riskant sei. Im täglichen Leben soll die Frau alle Bewegungen und sportlichen Betätigungen unterlassen, die zu einem Sturz führen können. So dürfe sie auf keinen Fall mit ihren beiden Kinder Reiten oder Inline-Skaten. Außerdem muss sie sich in regelmäßigen Abständen röntgen lassen, um die Lage der Nadel zu beobachten.

Patientin klagt Schadensersatz und Schmerzensgeld ein

Mit ihrem Fall zog die Patientin vor Gericht. Sie verklagte den Träger des Bundeswehrkrankenhauses Ulm, das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistung der Bundeswehr, auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Sie hatte

  • bis dato 2.000 Euro Zusatzkosten und wollte
  • eine weitere immaterielle Entschädigung für die Unannehmlichkeiten, Einschränkungen und Unsicherheiten, mit denen sie seit der OP zu leben hat.

Das Landgericht Ulm hatte zuerst in dieser Sache zu entscheiden und sprach den Schadensersatz sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 13.000 Euro zu. Der Bund ging in die Berufung, sodass der Fall noch einmal vor dem OLG Stuttgart aufgerollt wurde.

Zu sorgfältiger OP gehört es, die Instrumente zu überprüfen

Auch das OLG war voll und ganz auf der Seite der Frau mit der ungewollten Nadel im Körper. Es verwies auf die Rechtsprechung des BGH, wonach

  • Ärzte alle möglichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen gegen das Zurücklassen eines Fremdkörpers im Operationsgebiet treffen und
  • sämtliche Instrumente nach einer OP auf Vollständigkeit überprüfen müssten.

Das unabsichtliche Zurückbleiben der Nadel im Körper der Frau (nicht deren verspätete Benachrichtigung) sahen die Richter daher auch in dieser Instanz als Behandlungsfehler an, wenn sie ihn auch nicht als „grob“ einstuften.

Aktionsbündnis Patientensicherheit mahnt seit 2010 Zählkontrollen an

Die OLG-Richter verwiesen zudem auf die im Jahr 2010 vom Aktionsbündnis Patientensicherheit veröffentlichten Handlungsempfehlungen, die eine Zählkontrolle vorsehen.

  • Diese Handlungsempfehlungen gehen auf einen Beschluss des deutschen Bundestages zurück
  • und wurden vom Bundesgesundheitsministerium gefördert.

Gerade mit Blick hierauf ist die Verfahrensposition, die der Bund in diesem Punkt vertrat, haarsträubend, oder wie es das OLG ausdrückte „befremdlich“. Er meint nämlich, auch vier Jahre nach Veröffentlichung nicht zu den Zählkontrollen verpflichtet zu sein. Zu hoffen ist, dass die im Bundeskrankenhaus operierenden Ärzte tatsächlich anders und verantwortungsvoll denken und handeln und diese Äußerung im Prozess dem Auswuchs einer vermeintlich schlauen Verhandlungstaktik geschuldet ist.

Patientin erhält Schmerzensgeld und die Zusage für Erstattungen bei künftigen Komplikationen

Da die Patientin keine Schmerzen von der Nadel verspürt, hat das OLG

  • ein etwas niedrigeres Schmerzensgeld von 10.000 Euro als angemessen festgesetzt,
  • es bei der Zusage der bisher entstandenen materiellen Schäden i.H.v. 2.000 Euro belassen und
  • mit Blick auf die Zukunft festgestellt, dass der Krankenhausträger verpflichtet ist, der Frau alle weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Behandlungsfehler zu ersetzen.

(OLG Stuttgart, Urteil v. 20.12.2018, 1 U 145/17).

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Hintergrund

Seit dem Jahre 1990 ist die maßgebliche Vorschrift für die Zuerkennung von Schmerzensgeld aus dem Deliktsrecht heraus genommen und unter einer im wesentlichen neu gestalteten Bestimmung ins Allgemeine Schuldrecht des BGB als § 253 aufgenommen worden.

Daneben finden sich Sonderregelungen in § 11 S.2 StVG, § 6 Satz 2 HaftPflG, § 87 S. 2 ArzneimittelG, § 36 Satz 2 LuftVG, § 8 S. 2 ProdHaftG und in weiteren Spezialgesetzen.

Schlagworte zum Thema:  Arzthaftung, Schmerzensgeld