Befunderhebungsfehler ziehen die volle Haftung der Ärzte nach sich
Die Klägerin macht als gesetzliche Krankenkasse ihres Mitglieds Schadenersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers geltend. Im November 2005 ließ die bei der Klägerin Versicherte im Krankenhaus der beklagten Trägerin eine Hüftgelenksoperation durchführen. Postoperativ kam es zu erheblichen Nachblutungen. Die vor der Operation erstellte Anamnese hatte bereits Hinweise auf eine Blutungsstörung der Versicherten ergeben. Die behandelnden Ärzte waren dem aber nicht nachgegangen. Infolge der Nachblutungen entstanden erhebliche Zusatzkosten in Höhe von rund 589.000 €. Diese Kosten verlangte die Krankenkasse von der Trägerin des Krankenhauses erstattet.
Schwerer Befunderhebungsfehler
Sowohl nach Auffassung des erstinstanzlichen LG als auch nach Auffassung des OLG haftet der Krankenhausträger auf Schadensersatz wegen eines schweren Befunderhebungsfehlers. Nach den Ausführungen des vom Gericht eingeschalteten Sachverständigen hätte die Anamnese den Ärzten Anlass geben müssen, weitere Untersuchungen anzustrengen, die zur Feststellung der Blutgerinnungsstörung geführt hätten. Da es sich um einen elektiven Eingriff handelte, hätte die Blutungsstörung vor der Operation unbedingt behandelt werden müssen. Damit war nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen beide Instanzen folgten, ein schwerer ärztlicher Kunstfehler bei der Befunderhebung eindeutig bewiesen.
Umkehr der Beweislast
Aufgrund des Befunderhebungsfehlers sah das OLG für die später erforderlichen Zusatzbehandlungen gemäß § 286 ZPO den Beweis für die Schadenskausalität als voll erbracht an. Die Klägerin hatte hiergegen eingewandt, die Nachblutungen seien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch dann entstanden, wenn eine Gerinnungstherapie durchgeführt worden wäre. Dieses Argument ließ das OLG nicht gelten. Der Befunderhebungsfehler führe nämlich dazu, dass zu Gunsten der Klägerin eine Beweislastumkehr eingreife. Hiernach sei die Klägerin gehalten, nachzuweisen, dass die aufgetretenen Nachblutungen nicht auf die unterlassene Gerinnungstherapie zurückzuführen seien.
Rechtmäßiges Alternativverhalten
Dieser Gegenbeweis ist nach Auffassung des OLG der Klägerin nicht gelungen. Der Sachverständige hatte hierzu ausgeführt, dass im Fall einer ordnungsgemäßen Befunderhebung und einer anschließend durchgeführten Gerinnungstherapie mit einer Wahrscheinlichkeit von 54 % die Blutungen dennoch aufgetreten wären. Diese Wahrscheinlichkeit reichte dem OLG nicht aus. Der Beweis, dass das rechtmäßige Alternativverhalten die schädlichen Folgen nicht verhindert hätte, wäre nach Auffassung des OLG-Senats nur dann geführt, wenn die aufgetretenen Komplikationen bei rechtmäßigem Verhalten „wahrscheinlich“ in gleicher Weise aufgetreten wären. „Wahrscheinlich“ erfordere deutlich mehr als eine Wahrscheinlichkeit von 54 %. 54 % bedeuten nach Meinung des Senats lediglich eine Fifty-Fifty-Situation.
Für den Schadensumfang ist kein Vollbeweis erforderlich
Schließlich stellte der Senat klar, dass für den Umfang des erlittenen Schadens aufgrund des Eintritts von sekundären Schäden wie Infektionen und die Notwendigkeit intensivmedizinischer Behandlungen aufgrund von Nachblutungen der Maßstab des § 287 ZPO gelte. Danach reiche bereits eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für den Nachweis der Schadenshöhe aus. Auf dieser Grundlage sprach der Senat den geltend gemachten Schaden fast in vollem Umfang zu. Lediglich die Kosten für die Blutgerinnungstherapie in Höhe von 30.000 € gestand der Senat der Klägerin nicht zu, da diese Blutgerinnungstherapie bei ordnungsgemäßer Behandlung ebenfalls erforderlich gewesen wäre. Der Krankenhausträger musste daher fast die gesamten Nachbehandlungskosten an die Krankenkasse zurückerstatten.
(OLG Hamm, Urteil v. 21.03.2014, 26 U 115/11)
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