Ein Rechtsanwalt muss beim Zugang von Entscheidungen über die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses hinaus aktiv werden. Er muss überprüfen, ob die Entscheidung beigefügt ist, und sie im Hinblick auf durch die Zustellung ausgelöste Fristen durchgehen. Nicht richtig ist, insoweit dem Büropersonal, auch für die sich daraus ergebenden notwendigen Folgeschritte, freie Hand zu lassen.

Empfangsbekenntnis: weitere Planung nicht dem Büropersonal überlassen

Delegation ist wichtig, ihre Grenzen aber auch. So darf es der Anwalt grundsätzlich nicht seinem Büropersonal überlassen, die Bedeutung des Eingangs selbständig zu beurteilen.

Insbesondere darf es nicht bei förmlich gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsentscheidungen darüber zu befinden, ob man ihm die Entscheidung ihm vorgelegt oder nur ein Empfangsbekenntnis zur Unterschrift unterbreitet wird (§§ 56 VwGO, 174 ZPO).

 

Aufenthaltstitel eines Mandanten von der Behörde zurückgenommen

In dem einer Entscheidung des Saarländischen OVG zugrunde liegenden Fall waren bei einem Mandanten von der zuständigen Behörde ihm in der Vergangenheit erteilter Aufenthaltstitel zurückgenommen worden. Die entsprechende Klage hatte das Verwaltungsgericht des Saarlandes abgewiesen.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Der Zulassungsbeschluss wurde dem Kläger ausweislich der Unterschrift seiner Anwältin auf dem Empfangsbekenntnis beigefügten Datumsangabe am „27.5.2011“ zugestellt. Diese versäumte in der Folge die Berufungsbegründungsfrist, so dass die Berufung verworfen wurde.

 

Plötzlich blind? Frist von langjähriger Bürovorsteherin übersehen

Die Anwältin stellte daraufhin für ihren Mandanten einen Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Berufung.

Er macht unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung geltend,

  • die seit über 20 Jahren für die Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten tätige,
  • bis dahin stets zuverlässige und sorgfältig
  • beziehungsweise bei der Fristennotierung fehlerlos arbeitende Bürovorsteherin
  • habe den im Zulassungsbeschluss enthaltenen Hinweis auf die Frist zur Begründung der Berufung übersehen.

Sie habe sie daher auch nicht in dem dafür geführten Fristenkalender notiert und auch eine sonst in Fristsachen übliche Notiz der Frist auf der Beschlussausfertigung selbst nicht vorgenommen.

 

Fristerfordernis blieb unter dem Radar

Weil sie dem Zulassungsbeschluss entnommen hätte, dass das Antragsverfahren nunmehr als Berufungsverfahren fortgesetzt werde und eine gesonderte Einlegung der Berufung nicht mehr erforderlich sei, habe die Bürovorsteherin den Beschluss in der Akte abgeheftet.

Da seine Anwältin infolgedessen, anders als bei sonstigen Fristsachen üblich, nicht über diesen Posteingang informiert worden sei, habe diese das Fristerfordernis nicht erkennen können. Den Beschluss habe die Anwältin vielmehr erst nach ihrer Urlaubsrückkehr durch den Hinweis des Gerichts auf die versäumte Frist bemerkt.

 

Dokument persönlich vorlegen lassen

Das reichte dem Gericht als Begründung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus. Die Anwältin habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Das bei den Akten befindliche Empfangsbekenntnis wurde von der Anwältin – wie der Vergleich mit anderen bei den Akten befindlichen Unterschriften unter verschiedenen Schriftsätzen zeigte – eigenhändig unterzeichnet.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt bei der Unterzeichnung des eine gerichtliche Entscheidung betreffenden Empfangsbekenntnisses überprüfen, ob die darin genannte Entscheidung beigefügt ist und sich diese gegebenenfalls im Hinblick auf etwaige durch die förmliche Zustellung ausgelöste Fristen vorlegen lassen. Das war hier nach dem Vortrag des Mandanten nicht geschehen.

 

Höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Grenzen der Delegation

Ein Rechtsanwalt darf es danach grundsätzlich in solchen Fällen nicht dem Büropersonal überlassen, die Bedeutung des Eingangs selbständig zu beurteilen und sogar bei förmlich gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsentscheidungen darüber zu befinden, ob die Entscheidung vorgelegt oder ob nur ein Empfangsbekenntnis zur Unterschrift unterbreitet wird.

Zur Vermeidung der Zurechenbarkeit der Fristversäumnis ist der Prozessbevollmächtigte daher in diesen Fällen gehalten, das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Zulassungsbeschlusses erst dann zu unterschreiben und in den Geschäftsgang des Büros zurückzugeben, wenn in den Handakten die Begründungsfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert wurde

 

Berufungsbegründungsfrist muss Anwalt selbst überprüfen

Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes entschieden, dass es sich bei der Berufungsbegründungsfrist nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO „prinzipiell“ nicht um eine Frist handelt, deren Erfassung und Kontrolle ein prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt seinem Büropersonal überlassen darf.

Vor diesem Hintergrund kann auch der Mandant nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Versäumnis der Frist zur Begründung der Berufung nicht seiner Anwältin anzulasten und damit auch von ihm nicht zu vertreten sei, weil sie allein auf eine einmalige Fehlleistung einer erfahrenen und in der Vergangenheit beanstandungsfrei arbeitenden Bürovorsteherin der Anwaltskanzlei zurückzuführen sei, die das Ingangsetzen einer Frist durch die Zustellung – aus welchem Grund auch immer – nicht erkannt habe.

(OVG Saarlouis, Beschluss v. 31.8.2011, 2 A 272/11).

 

 

Praxishinweis: Berufshaftpflicht sofort informieren

Die Fristversäumung als Versicherungsfall muss innerhalb einer Woche beim Versicherer gemeldet werden. Der Verstoß gegen diese Obliegenheitsverletzung führt im Extremfall dazu, dass die Versicherung den Schaden nicht reguliert. Als Versicherungsfall gilt der Zeitpunkt, in dem der Anwalt den Fehler bemerkt, der Schadensersatzansprüche des Mandanten zur Folge haben könnte, unabhängig davon, ob der Mandant solche geltend macht.