BVerfG begrenzt Recht Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung

Das Recht auf Klärung der biologischen Abstammung ist nicht absolut, sondern ist  gegen andere Grundrechte abzuwägen. Gegenüber dem außerfamiliären, vermuteten leiblichen Vater besteht kein uneingeschränkter Anspruch auf Klärung der Abstammung.

Dies hat das BVerfG nun grundlegend gegenüber einer im Jahre 1950 geborenen Beschwerdeführerin entschieden, die seit Jahrzehnten einen erbitterten Kampf um die Kenntnis ihrer Abstammung führt.

Aufforderung, einem DNA-Test zuzustimmen

Den von ihr vermuteten leiblichen Vater hatte sie bereits im Jahre 1954 auf der Grundlage der damaligen Rechtslage auf „Feststellung blutsmäßiger Abstammung“ erfolglos gerichtlich in Anspruch genommen. Da die Abstammungsfrage sie auch später nicht losließ, forderte sie im Jahr 2009 den mutmaßlichen Vater auf, einem DNA-Test zuzustimmen. Mit ihrer gegen den mutmaßlichen Vater eingereichten gerichtlichen Klage hatte sie in den Instanzen keinen Erfolg. Nun hat das BVerfG ihr Begehren endgültig zurückgewiesen.

Beschwerdeführerin fordert verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes ein

In rechtlicher Hinsicht hatte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine verfassungskonforme Auslegung des § 1598a BGB eingefordert.

  • Die Vorschrift gibt Vater, Mutter und Kind im Rahmen einer rechtlichen Familie einen Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung.
  • Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass diese Vorschrift nur dann verfassungskonform sei,
  • wenn hiernach ein Kind auch gegenüber einem mutmaßlichen leiblichen, nicht in der rechtlichen Familie lebenden Vater einen Anspruch auf sogenannte rechtsfolgenlose Abstammungsklärung zuerkannt bekomme.

Bestehende Rechtslage ist verfassungskonform

Die Verfassungsrichter teilten die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Der Senat wies darauf hin, dass gemäß § 1600d BGB ein Kind grundsätzlich einen Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft hat, wenn eine rechtliche Vaterschaft nicht besteht.

Von Verfassungswegen sei es nicht geboten, einem Abkömmling daneben einen isolierten Rechtsanspruch auf Klärung der leiblichen Abstammung von einem Mann zu gewähren, den es für seinen Vater hält.

Recht des Kindes im Widerstreit mit anderen Grundrechten

Der Senat verkannte seiner Ansicht nach nicht, dass die Aufklärung der eigenen Abstammung ein wesentlicher Bestandteil der Findung der eigenen Identität sein kann und daher als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von der Verfassung geschützt wird.

Der Gesetzgeber habe bei der Regelung dieser Frage aber nicht nur das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Kindes, sondern auch widerstreitende andere Grundrechte zu berücksichtigen. Der Senat nannte insbesondere

  • das Recht des mutmaßlichen leiblichen Vaters auf Achtung seiner Privat- und Intimsphäre gemäß Art. 2, 1 GG;
  • das Recht des mutmaßlichen Vaters auf informationelle Selbstbestimmung, das durch eine erzwungene genetische Abstammungsuntersuchung nach Auffassung des Senats verletzt wird, zumal ja die Vaterschaft nicht von vorne herein feststehe (??);
  • das Recht des mutmaßlichen Vaters auf körperliche Unversehrtheit;
  • den Schutz der Familie des gegebenenfalls zur Mitwirkung verpflichteten Mannes, dessen Familienleben durch die Einleitung eines Abstammungsuntersuchungsverfahrens erheblich belastet werden könne;
  • aber auch den Schutz der Familie des betroffenen Kindes, die durch ein Abstammungsverfahren ebenfalls insgesamt mit einer Atmosphäre des Misstrauens überzogen werden könne;
  • schließlich den Schutz des Persönlichkeitsrechts des rechtlichen Vaters, dessen familiäre Position durch ein Abstammungsklärungsverfahrens deutlich in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. 

Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Vor diesem Hintergrund und den damit verbundenen Abwägungsproblemen sah es das Verfassungsgericht als von dem bestehenden gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum und den damit verbundenen Einschätzungs- und Wertungsmöglichkeiten gedeckt an, wenn der Gesetzgeber ein isoliertes Abstammungsklärungsverfahren zur Klärung der leiblichen Abstammung außerhalb der Familie nicht zur Verfügung stellt. Der Senat betonte allerdings auch, dass die Bereitstellung eines solchen Verfahrens verfassungsrechtlich grundsätzlich ebenso möglich sei. Zwingend sei ein solches Verfahren aber nicht.

Instrument der Vaterschaftsfeststellungsklage ist verfassungsrechtlich ausreichend

Das Gericht wies auf die Besonderheit des Falles hin, dass die Beschwerdeführerin bereits einmal erfolglos eine Vaterschaftsfeststellungsklage gegen den Antragsgegner erhoben habe und ihr deshalb der Weg zu einer erneuten Vaterschaftsfeststellungsklage verwehrt sei. Grundsätzlich bestünde aber für ein Kind die Möglichkeit, durch Erhebung einer Vaterschaftsfeststellungsklage in einem solchen Fall inzident die leibliche Vaterschaft prüfen zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Senats auch eine erweiternde (verfassungskonforme) Auslegung des § 1598a BGB, die die Vorschrift auf die Klärung der Abstammung von einem außerhalb der Familie lebenden, mutmaßlichen leiblichen Erzeuger erstreckt, nicht angezeigt.

Auch nach der EMRK besteht kein absoluter Anspruch auf Kenntnis der Abstammung

Schließlich führt auch die EMRK nach Auffassung des Senats zu keinem anderen Ergebnis. Zwar schließe nach der Rechtsprechung des EGMR die Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ein, allerdings sei auch nach der EMRK die Bereitstellung der Möglichkeit einer isolierten Abstammungsklärung durch den Gesetzgeber nicht zwingend, sondern stehe auch dort im Kontext der Rechtspositionen der anderen Beteiligten. Für die Beschwerdeführerin ist damit der Kampf um die Klärung ihrer Abstammung endgültig verloren.

(BVerfG, Urteil v.19.4.2016, 1 BvR 3309/13).

Vätervarianten

Es gibt viele Spielarten der Vaterschaft.

  • Leibliche oder biologischer Vater: Wer ein Kind zeugt, ist der leibliche Vater. Die biologische Vaterschaft ist aber nicht notwendig, um als rechtlicher Vater zu gelten.
  • Rechtlicher Vater: Nach dem BGB ist der Mann Vater eines Kindes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist.
  • Stiefvater oder sozialer Vater: Ein neuer Partner der Mutter übernimmt für deren Kind u.U. eine soziale Vaterrolle, bleibt aber ohne rechtliche Beziehung zum Nachwuchs. Diese erreicht er ggfs. durch eine Stiefkindadoption.
  • Adoptivvater: Er ist juristisch dem rechtlichen Vater gleichgestellt, das Kind hat in der Adoptivfamilie die gleichen Rechte wie ein eheliches Kind. Die rechtlichen Verbindungen zwischen Adoptivkind und seinen leiblichen Eltern werden dagegen vollständig gekappt.
  • Pflegevater: Sie sind «Väter auf Zeit». Ein Pflegekind bleibt immer ein Mitglied seiner Herkunftsfamilie und behält deren Namen. Der Gesetzgeber versteht die Pflegschaft als vorübergehende Maßnahme, um das Kind zu versorgen und womöglich wieder zu seinen leiblichen Eltern zurückzubringen.
  • Scheinvater: Ihm wird in einer Ehe oder Partnerschaft ein Kind untergeschoben, etwa wenn er mangels Verdacht oder wider besseres Wissen die Vaterschaft anerkennt oder nicht anficht, aber nicht der biologische Vater ist.



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