Burkini-Entscheidung: Muslima müssen gemeinsam mit den Jungens zum Schwimmunterricht
Die zum Zeitpunkt der Klageerhebung elf Jahre alte, inzwischen 13-jährige Klägerin war Schülerin eines Gymnasiums in Frankfurt-Hoechst, an dem der Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen gemeinsam erteilt wurde. Im Alter von acht Jahren war sie von einer marokkanischen Schule nach Frankfurt gewechselt, kam kurz darauf auf das Gymnasium und erreichte dort in sämtlichen Fächern Spitzennoten.
Befreiung vom Schwimmunterricht wegen muslimischer Bekleidungsvorschriften
Die muslimischen Eltern des Mädchens stellten den Antrag, ihre Tochter von der Pflicht zur Teilnahme am Schwimmunterricht zu befreien, weil die gemeinsame Teilnahme von Jungen und Mädchen nicht mit den muslimischen Bekleidungsvorschriften in Einklang zu bringen sei. Die Schule lehnte den Befreiungsantrag ab. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof haben die hiergegen eingereichte Klage abgewiesen.
Glaubensfreiheit und Schulpflicht – manchmal ein Spannungsverhältnis.
Der VGH hat die Klage unter dem Gesichtspunkt der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit (Art. 4 GG) geprüft und der Klägerin grundsätzlich das Recht zugebilligt, sich in strenger Auslegung des Korans an das Gebot gebunden zu fühlen, sich nicht den Blicken anderer in Badebekleidung auszusetzen und körperliche Berührungen mit Jungen zu vermeiden.
Dieses Recht werde durch den koedukativen Schwimmunterricht beeinträchtigt, so dass die Pflichtteilnahme einen Eingriff in das Grundrecht der Glaubensfreiheit bedeute.
Burkini ist zumutbare Bekleidung.
Der VGH sah allerdings in dem für solche Fälle entworfenen „Burkini“ – einem Ganzkörperbadeanzug, bei dem nur Hände, Füße und Teile des Gesichts zu sehen sind - eine auch für streng gläubige Muslime zumutbare Möglichkeit, sich den Bekleidungsvorschriften des Koran weitgehend anzupassen und gleichzeitig ihre schulische Verpflichtung zu erfüllen.
Auch wenn bei strenger Auslegung der Burkini nicht in vollem Umfange den Glaubensvorstellungen der Klägerin gerecht werde, so sei der verbleibende Eingriff in ihre Glaubensfreiheit von ihr hinzunehmen. Das hochrangige staatliche Ziel einer gemeinsamen Erziehung und damit auch der Integration ausländischer Kinder sowie der Ausbildung ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten sei ein schutzwürdiges Interesse, das mit dem koedukativen Schwimmunterricht in rechtlich zulässiger Weise verfolgt werde. Dies rechtfertige den verbleibenden geringen Eingriff in die Glaubensfreiheit.
( BVerwG, Urteil v. 11.09.2013, 6 C 25.12)
Konsequente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung
Nachdem auch bei den Gerichten für einige Zeit Unsicherheit über die Gewichtung der unterschiedlichen Rechtspositionen Schulpflicht und Religionsfreiheit herrschte, hatte bereits das OVG Münster im Jahre 2009 die grundsätzliche Zumutbarkeit des Tragens eines Burkinis postuliert.
Das OVG hatte allerdings Ausnahmen zugelassen, wenn z.B. in der konkreten schulischen Situation aus besonderen Gründen der Zwang zur Teilnahme am Schwimmunterricht unzumutbar sei. Das Gericht ließ offen, ob eine solche Unzumutbarkeit beispielsweise durch extrem provokative Frotzeleien und Hänseleien seitens der Mitschüler gegenüber einer psychisch besonders sensiblen Muslima ausgelöst werden könne (OVG Münster, Urteil v. 20.05.2009, 19 B 1362/08).
Zentralrat der Muslime bleibt gelassen
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, teilte mit, dass der Ganzkörperbadeanzug „islamisch angemessen und tragbar“ sei. Dennoch ist nach seiner Auffassung die Glaubens- und Gewissensfreiheit immer unter allen Aspekten des konkreten Einzelfalls auch mit Respekt vor individuell besonders strengen Glaubensauffassungen zu beurteilen.
Diese Einzelfallprüfung hat das BVerwG nun vorgenommen und hat die Entscheidung des Hessischen VGH – und damit auch die des OVG Münster - bestätigt. Die Gründe für das Urteil hat das Gericht noch nicht veröffentlicht, sie dürften aber wenig von denen des VGH abweichen.
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