Wie ist der Begriff „Bargeld“ in einem Vermächtnis auszulegen?
Die Zuwendung von Bargeld an einzelne Vermächtnisnehmer ist in privatschriftlichen Testamenten nicht unüblich. In der Rechtsprechung ist bisher nicht eindeutig geklärt, ob der Begriff Bargeld tatsächlich nur physisch vorhandene Geldscheine und Geldmünzen umfasst oder ob der Begriff sich auch auf leicht verfügbare Bankguthaben erstreckt. Das OLG München stellt in seiner Entscheidung auf eine Auslegung des Testaments unter Berücksichtigung der konkreten Umstände bei der Testamentserrichtung ab.
Rechtsstreit über Auslegung eines testamentarischen Vermächtnisses
Die Parteien des vom OLG entschiedenen Rechtsstreits streiten über Ansprüche nach dem Tod einer im August 2017 verstorbenen Erblasserin aufgrund eines von der Erblasserin im Jahr 2015 errichteten Testaments. Die Erblasserin hatte darin Vermächtnisse zugunsten des Klägers angeordnet. Sie hatte diesem u.a. einen Teil ihres Bargeldes vermacht. Hierzu hieß es im Testament: „Mein vorhandenes Bargeld wird in 19 Teile aufgeteilt“. Einer der anschließend namentlich aufgeführten Empfänger ist der Kläger.
Kläger bewertet Buchgeld auf Bankkonten als Bargeld
Der Kläger vertritt gegenüber den von ihm verklagten Erben die Auffassung, dass diese in rechtswidriger Weise die Erfüllung des Vermächtnisses der Erblasserin vereiteln. Unter anderem will er den von der Erblasserin in ihrem handschriftlichen Testament verwendeten Begriff „Bargeld“ so verstanden wissen, dass dieser neben den vorhandenen Geldscheinen und Geldmünzen auch das zum Zeitpunkt ihres Ablebens vorhandene Buchgeld auf Bankkonten mit umfasst.
Unterschiedliche Auslegung des Begriffs „Bargeld“ ist objektiv möglich
Das OLG schloss sich - wie auch schon die Vorinstanz - der Auslegung des Testaments durch den Kläger nicht an. Grundsätzlich sei die Zuwendung von Bargeld im Wege eines Vermächtnisses gemäß § 1939 BGB im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments nicht zu beanstanden. Die Verwendung des Begriffs „Bargeld“ ist nach Auffassung des OLG allerdings nicht unproblematisch, da dieser Begriff objektiv sowohl so verstanden werden könne, dass lediglich vorhandenes Münzgeld und Geldscheine Gegenstand des Vermächtnisses sind als auch in der vom Kläger präferierten Weise, dass auch vorhandene Buchgeldwerte mit umfasst werden.
Entscheidend ist der tatsächliche Wille der Erblasserin
Angesichts dieser objektiven Auslegungsalternativen ist das Testament nach Ansicht des Senats im konkreten Fall nach den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände bei Errichtung des Testaments auszulegen. Ziel einer solchen Auslegung sei immer die Ermittlung des wahren Willens der Erblasserin bzw. des Erblassers gemäß § 133 BGB sowie die Erreichung des von der Erblasserin mit dem Testament beabsichtigten Erfolgs, § 2084 BGB.
Auslegungsfaktor Testamentssystematik
Im konkreten Fall kam der Senat zu dem Ergebnis, dass die Erblasserin ihr Testament nach dem Grundsatz zusammengestellt habe, zu Beginn die besonders werthaltigen Vermächtnisse und dann in absteigender Bedeutung zu immer kleinteiligeren Verfügungen überzugehen. In dieser absteigenden Systematik haben sie zunächst ausführliche Bestimmungen über ihre in größerem Umfang vorhandenen Immobilien getroffen, während die Vermächtnisse über ihr „Bargeld“ erst gegen Ende des Testaments unmittelbar vor den Regelungen zur Verteilung ihres Schmucks auftauchten.
Indizwirkung der gewählten testamentarischen Reihenfolge
Die von der Erblasserin gewählte Reihenfolge ihrer Verfügungen unter Hintanstellung des Bargeldvermächtnisses bewertete der Senat als Indiz dafür, dass die Erblasserin, die über Buchgeld in erheblicher Höhe verfügte, gegen Ende ihres Testaments keine Verfügungen treffen wollte, die - jedenfalls nach den geäußerten Wertvorstellungen des Klägers in Höhe von mutmaßlich vorhandenem Buchgeld in Höhe von bis zu 100 Mio Euro - wertmäßig einer vollen Erbeinsetzung gleich gekommen wären.
Wortanalyse
Im Rahmen einer Wortanalyse untersuchte der Senat die Frage, was die Erblasserin mit der mit einem Adjektiv versehenen Gesamtbegrifflichkeit „vorhandenes Bargeld“ gemeint haben könnte. Im Ergebnis stellte der Senat in diesem Punkt entscheidend darauf ab, dass es sich bei der Erblasserin nach übereinstimmender Darstellung der Prozessparteien um eine in finanziellen Angelegenheiten erfahrene Geschäftsfrau handelte, die den Begriff „vorhandenes Bargeld“ nicht zufällig oder leichtfertig verwendet. Dies legt nach Auffassung des Senats eine von der Erblasserin beabsichtigte Beschränkung auf in Scheinen und Münzen vorhandene Geldbestände nahe, da für eine solche Person andernfalls eine konkrete Bezugnahme auf vorhandene Konten und Wertpapierdepots nahegelegen hätte.
Berücksichtigung von Umständen außerhalb des Testaments
Auch außerhalb des Testaments liegende Umstände führten nach Auffassung des Senats nicht zu einem anderen Ergebnis. Insbesondere habe der Kläger keine konkreten Umstände dargelegt, die darauf schließen ließen, dass die Erblasserin sämtliche in ihrem Testament bedachte Personen wertmäßig in etwa gleicher Höhe bedenken wollte. Eine solche Gleichbehandlungsabsicht könne nicht einfach unterstellt, sondern müsse gegebenenfalls aus konkret darzulegenden Umständen plausibel ableitbar sein. Solche nachvollziehbaren Umstände habe der Kläger nicht dargelegt. Auch aus dem Text des Testaments selbst sei eine solche Gleichbehandlungsabsicht nicht zu entnehmen.
Im konkreten Fall enge Auslegung des Begriffs „Bargeld“
Vor diesem Hintergrund kam das OLG zu dem Ergebnis, dass der von der Erblasserin verwendete Begriff „vorhandenes Bargeld“ nach deren Willen tatsächlich nur das in Scheinen und Münzen vorhandene Bargeld umfassen sollte. Hinsichtlich des Buchgeldes stehe dem Kläger daher weder der geltend gemachte Auskunftsanspruch noch ein weitergehender Zahlungsanspruch zu.
Berufung zurückgewiesen
Der gegen das klageabweisende Urteil der Vorinstanz eingelegten Berufung des Klägers blieb der Erfolg daher versagt.
(OLG München, Beschluss v. 5.4.2022, 33 U 1473/21)
Hintergrund:
Die Entscheidung des OLG entspricht tendenziell einer älteren Entscheidung des BGH, der bei der Auslegung des in einem Testament verwendeten Begriffs „Bargeld“ ebenfalls grundsätzlich sowohl eine Beschränkung auf vorhandene Geldscheine und Geldmünzen als auch die Einbeziehung von vorhandenem Buchgeld für möglich gehalten hat. Auch der BGH stellt in seiner Entscheidung bei der Wahl zwischen beiden Alternativen maßgeblich auf die Erforschung des tatsächlichen Willens des Erblassers unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ab (BGH, Urteil v. 22.10.1975, IV ZR 17/74; ähnlich OLG Karlsruhe, Urteil v. 3.5.2007, 19 U 58/05). Für Testierende ist daher bei der Zuwendung von Bargeld an einen Vermächtnisnehmer bereits bei Errichtung des Testaments eine Klarstellung des Begriffsinhalts im Text des Testaments zur Vermeidung von Unklarheiten dringend zu empfehlen
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