Anfechtbarkeit von Unterhaltsvereinbarungen

Schließen Anwälte für ihre Mandanten vor dem Familiengericht einen Unterhaltsvergleich ab, erfolgt dies in der Regel unter Berücksichtigung des erwartbaren Prozessausgangs. Ändert die Rechtsprechung sich grundlegend, stellt sich die Frage nach der Anpassung einer auf diese Weise getroffenen Unterhaltsregelung.

Im konkreten Fall hatte die Ehe der Parteien 33 Jahre überdauert, bevor sie geschieden wurde. Im Februar 2010 schlossen die Parteien einen Prozessvergleich über den zu leistenden nachehelichen Unterhalt des Ehemannes. Hiernach hatte der Ehemann bis einschließlich Juli 2008 Unterhaltsrückstände zu begleichen, für den Zeitraum danach wurde der Unterhalt ausgeschlossen. Bei Vergleichsabschluss wurde berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des BGH die neue Ehefrau des wiederverheirateten Ehemannes bei der Berechnung des Unterhaltsbedarfs nach der Dreiteilungsmethode zu berücksichtigen und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit die geschiedene Ehefrau selbst für ihren finanziellen Unterhalt zu sorgen hat. 

Änderung der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht

Hintergrund dieser Unterhaltsregelung war folgender: Mit dem am 1.1.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts verfolgte der Gesetzgeber den Zweck der wirtschaftlichen Entlastung sogenannter Zweitfamilien. Für den Unterhalt geschiedener Ehegatten wurde verstärkt auf den Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung jedes Ehegatten abgestellt. Mit der Regelung des § 1578 b BGB eröffnete der Gesetzgeber die Möglichkeit, den nachehelichen Unterhalt unter Billigkeitsgesichtspunkten herabzusetzen und/oder zeitlich zu begrenzen. Nach der Rechtsprechung des BGH war hiernach ein neuer Ehepartner schon in die Bemessung des Bedarfs des vorangegangenen Ehegatten mit einzubeziehen und der Unterhalt nach der sogenannten Dreiteilungsmethode zu ermitteln. Diese Dreiteilungsmethode hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschluss v.  25.1.2011, 1 BvR 918/10).

BGH hat den Willen des Gesetzes missachtet

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hatte der BGH an dem Wortlaut des Gesetzes vorbei mit der Dreiteilungsmethode eine eigene Unterhaltsberechnung eingeführt, die nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Das Bundesverfassungsgericht verwies insbesondere darauf, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung nicht die Ermittlung des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten ändern wollte. Auch nach den neuen Bestimmungen sei der Unterhaltsbedarf anhand der ehelichen Lebensverhältnisse der aufgelösten Ehe vorzunehmen. Eine schematische Gleichstellung der geschiedenen Ehefrau mit der neuen Gattin des Ehemannes widerspräche dem Prinzip der nachehelichen Verantwortung . 

Kein Rechtsirrtum

Mit ihrer Klage auf Abänderung des Unterhaltsvergleichs infolge der geänderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts drang die Klägerin in den Vorinstanzen nicht durch. Mit der Revision gegen das Urteil des OLG machte die geschiedene Ehefrau geltend, wegen Irrtums über die Vergleichsgrundlage sei der gerichtlich geschlossene Vergleich gemäß § 779 BGB an die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Einen solchen rechtserheblichen Irrtum sah der BGH jedoch als nicht gegeben an. Dabei ließ er die Frage offen, ob ein Rechtsirrtum überhaupt in den Anwendungsbereich von § 779 BGB fallen kann, wenn er nicht gleichzeitig ein Irrtum über relevante Tatsachen umschließt (verneinend: BGH, Urteil v. 18.12.2007, XI ZR 76/06). Entscheidend ist vorliegend nach Auffassung des BGH-Senats, dass zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Vorstellung der Vertragsschließenden hinsichtlich der Rechtslage zutreffend war. Erst später, nämlich im Jahre 2011, habe sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsprechung geändert. Eine unrichtige Vorstellung zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses über den Fortbestand einer bestimmten Rechtsprechung sei jedoch kein Umstand, der einen Irrtum im Sinne des § 779 BGB begründe. 

Anpassung nur für die Zukunft

Nach Auffassung des BGH kann der Unterhaltsberechtigte jedoch im Wege der Leistungsklage erneut Unterhaltsansprüche geltend machen, wenn sich aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung die Vergleichsgrundlage geändert hat oder später weggefallen ist. Dies könne aber nur für den Zeitraum ab Änderung der Rechtslage, also die Zeit nach dem 31.1.2011 gelten (BGH, Urteil v. 22.1.2003,  XII ZR 186/01). Eine Änderung der Rechtsprechung könne immer nur für die Zukunft Rechtsfolgen auslösen, für die Zeit davor gelte der Vertrauensschutzgrundsatz zu Gunsten des Unterhaltsverpflichteten, da dieser ansonsten Gefahr laufe, bei einer Änderung der Rechtsprechung mit unkalkulierbaren Forderungen für die Vergangenheit belastet zu werden. 

Einwendung der mangelnden Bedürftigkeit ist nicht zulässig

Hervorgehoben hat der BGH in seiner Entscheidung, dem Unterhaltsberechtigten könne in solchen Fällen nicht entgegengehalten werden, dass er in der Vergangenheit durch den nach dem Vergleich auf Null reduzierten Unterhalt sich auf die fehlenden Einkünfte hätte einstellen können und er infolge der Änderung seiner Lebensführung insoweit nicht mehr bedürftig sei. Mit einer solchen Argumentation würde - so der BGH – der Anpassungsanspruch des Unterhaltsberechtigten in unzulässiger Weise ausgehöhlt werden 

Nacheheliche Solidarität

Der BGH stellte heraus, der Unterhalt könne gemäß § 1578 b BGB auch nicht pauschal mit dem Argument beschränkt werden, der Unterhaltsberechtigte habe keine ehebedingten Nachteile erlitten, weil er eine eigene Berufstätigkeit nicht habe aufgeben müssen. Entscheidend sei vielmehr, dass gemäß § 1578 b BGB der nachehelichen Solidarität Rechnung zu tragen sei. Diese fortwirkende nacheheliche Solidarität sei ein wesentlicher Bestandteil der zu treffenden Billigkeitserwägungen betreffend die Begrenzung des Unterhaltsanspruchs sowohl der Zeit als auch der Höhe nach (BGH, Urteil v. 11.10.2010, XII ZR 102/09). In diesem Zusammenhang verwies der BGH auch darauf, dass gemäß § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB das Tatbestandsmerkmal der Ehedauer als weiterer, konkret benannter Billigkeitsmaßstab neben das Bestehen ehebedingter Nachteile getreten sei. Die im vorliegenden Fall sehr lange Dauer der Ehe sowie die Wechselwirkung mit der in der Ehe einvernehmlich praktizierte Rollenverteilung und der darauf beruhende Verflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse habe der Tatrichter im vorliegenden Fall noch nicht ausreichend ermittelt. Bei der Abwägung sei auch dem Umstand Rechnung zu tragen, inwieweit der Unterhaltsschuldner durch die Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehegatten belastet sei. Dieser Gesichtspunkt gewinne mit zunehmender Dauer der zweite Ehe an Gewicht. Zur Ermittlung der insoweit relevanten Umstände hat der BGH den Rechtstreit zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

(BGH, Urteil v. 20.3.2013, XII ZR 72/11)

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