1. Allgemeines

Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 1579 BGB ist die grobe Unbilligkeit, die sich aus einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten (§ 1579 Nr. 3–7, 8 BGB) oder aus einer objektiven Unzumutbarkeit der Unterhaltsleistung für den Unterhaltspflichtigen (§ 1579 Nr. 1, 2, 8 BGB) ergeben kann (vgl. Schnitzler FF 2014, 94; Kleffmann FuR 2009, 145, 148; Kofler NJW 2011, 2470; Bömelburg FamRB 2012, 53).

Rechtsfolge kann sein: die Beschränkung des Unterhaltsanspruchs nach Höhe, zeitlicher Dauer der Leistung oder einer Kombination aus Höhe und Dauer oder eine vollständige Versagung des Unterhaltsanspruchs.

 

Hinweis:

Die Vorschrift des § 1579 BGB wird oft als "Verwirkung" bezeichnet. Dies ist aber falsch, da eine Verwirkung zum vollständigen und endgültigen Verlust eines Anspruchs führt. Die Rechtsfolgen des § 1579 BGB sind aber differenzierter; auch kann der Anspruch u.U. wieder aufleben (hierzu später unter II. 4.).

2. Härtegründe des § 1579 BGB

a) Kurze Ehedauer (Nr. 1)

Eine nicht mehr als zwei Jahre von der Heirat bis zur Zustellung des Scheidungsantrags betragende Ehedauer ist i.d.R. zu kurz, eine solche von mehr als drei Jahren wird hingegen nicht mehr als zu kurz angesehen (BGH FamRZ 2011, 1498; FamRZ 2011, 791; FamRZ 2011, 873).

b) Verfestigte Lebensgemeinschaft (Nr. 2)

Der Härtegrund des § 1579 Nr. 2 BGB sanktioniert kein vorwerfbares Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten, sondern stellt auf rein objektive Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten ab, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar erscheinen lassen.

aa) Begriffsbestimmung

Der unterhaltsberechtigte frühere Ehegatte muss eine verfestigte neue Lebensgemeinschaft eingegangen sein und sich damit endgültig aus der ehelichen Solidarität herausgelöst und auf diese Weise zu erkennen gegeben haben, dass er diese nicht mehr benötigt (BGH FamRZ 2011, 1498 m.w.N.; FamRZ 2011, 1855; FamRZ 2011, 791; OLG Karlsruhe FamRB 2011, 236). Dabei spielt die finanzielle Leistungsfähigkeit des neuen Partners keine Rolle (BGH FamRZ 2011, 1855; FamRZ 2011, 1498). Es ist nicht erforderlich, dass die neuen Partner räumlich zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt führen (BGH NJW 2011, 2512; FamRZ 2004, 614, 616; FamRZ 2002, 23, 25).

Als notwendige Zeitdauer wird vom BGH regelmäßig ein Zeitrahmen von nicht weniger als zwei bis drei Jahren angenommen (BGH FamRZ 2011, 1498; FamRZ 2004, 1326). Auch dann, wenn der vorgenannte zeitliche Rahmen noch nicht überschritten worden ist, können besondere Umstände des Einzelfalls für eine ausreichende Verfestigung sprechen.

Hier kommen besonders intensive persönliche oder wirtschaftliche Verflechtungen in Betracht (OLG Oldenburg NJW 2012, 2450), wie etwa regelmäßige Zuwendungen des neuen Partners (BGH FamRZ 2011, 791; OLG Oldenburg FamRZ 2011, 1965), die Anschaffung und Nutzung einer gemeinsamen Wohnung (OLG Brandenburg NZFam 2016, 983), die Anschaffung einer Immobilie (OLG Saarbrücken FamFR 2009, 48; vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 351) oder die Geburt eines gemeinsamen Kindes (BGH NJW 2012, 2190; OLG Brandenburg NZFam 2016, 983; OLG Frankfurt NJW 2013, 1686). Diese Voraussetzungen liegen auch bei einer Verlobung der neuen Partner vor (AG Rinteln FamRZ 2015, 57). Ebenso kann bei Anmeldung auf Webseiten zur Vermittlung kostenloser Sexualkontakte während des Zusammenlebens der Unterhalt versagt werden (OLG Oldenburg FamRZ 2010, 904).

bb) Praxishinweis

Ist ein Streit über die unterhaltsrechtlich relevante Bedeutung einer neuen Beziehung der Unterhaltsberechtigten abzusehen, wird zur Vorbereitung des späteren Sachvortrags im gerichtlichen Verfahren die Abarbeitung des folgenden Fragenkatalogs – unter Anpassung an die jeweilige Situation – empfohlen (Born NZFam 2014, 351; Schnitzler FF 2011, 290, 292).

 

Checkliste:

Liegt ein Ausbruch aus einer intakten Ehe vor?

Welche Tatsachen/Indizien gibt es dafür, dass sich die Ehefrau wegen eines anderen Mannes vom Ehemann getrennt hat?

Hat sie sich schon vor der Trennung mit ihm getroffen?
Ist sie über Nacht weggeblieben?
Hat er ihr beim Umzug geholfen?
Ist sie bei ihm eingezogen?
Haben beide eine gemeinsame Wohnung genommen?

Ist die Ehe zum Zeitpunkt der Trennung noch intakt gewesen?

Hat es bis zuletzt gemeinsame Unternehmungen gegeben?
Wurden gesellschaftliche Veranstaltungen zusammen besucht?
Wurden gemeinsame Urlaube unternommen?
Wurden gemeinsame Anschaffungen getätigt?
Wann war der letzte eheliche Verkehr?

Oder war die Ehe bereits zerrüttet und man hat nur noch nebeneinander her gelebt?

Hat man noch miteinander gesprochen?
Hatte sich der Ehemann schon einer anderen Frau zugewandt und sich öfter bei ihr aufgehalten?
Hat er die Ehefrau geschlagen?
Hat er getrunken?
Hat er sich nicht um die Familie gekümmert?

Hat die Frau nach der Trennung/Scheidung eine neue Partnerbeziehung aufgenommen?

Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit:

Hat es einen gemeinsamen Umzug gegeben?
Werden gemeinsame Freizeitaktivitäten durchgeführt (Besuche von Gaststätten, Esslokalen, Ausflüge, Urlaube, Familienfeiern, vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 1811; FuR 2011, 341...

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