Nach § 20 BBiG beginnt das Berufsausbildungsverhältnis mit der Probezeit. Diese muss mindestens einen Monat und darf höchstens vier Monate betragen. Nach § 22 des Gesetzes kann während der Probezeit das Ausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, nach der Probezeit nur unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 22 BBiG. In der bereits am 19.11.2015 (6 AZR 844/14, NZA 2016, 228) ergangenen Entscheidung hat das BAG erstmals zur Frage der Anrechnung der Dauer eines vorausgegangenen Praktikums auf die Probezeit im Berufsausbildungsverhältnis Stellung genommen und dies verneint, weil die gesetzlichen Differenzierung von Berufsausbildungsverhältnis und Praktikum mit einer Anrechnung von Praktikumszeiten auf die Probezeit in einem späteren Berufsausbildungsverhältnis aufgrund unterschiedlicher Zwecksetzung von Praktikum und Probezeit unvereinbar sei. Dabei sei es ohne Bedeutung, ob Praktikum und Berufsausbildungsverhältnis in einem inneren Zusammenhang stehen.
Dem Sechsten Senat lag der Fall eines Klägers vor, der auf Basis eines schriftlichen Praktikantenvertrags vom 11.3.2013 bis zum 31.7.2013 (4,5 Monate) zur Überbrückung von der Bewerbung bis zum Ausbildungsbeginn am 1.8.2013 in einer Filiale des Beklagten eingesetzt werden sollte. Am 22.6.2013 vereinbarten die Parteien einen schriftlichen Berufsausbildungsvertrag zum Einzelhandelskaufmann für die Zeit vom 1.8.2013 bis zum 31.7.2016 mit einer Probezeit von drei Monaten. Mit Formularschreiben vom 21.10.2013 informierte die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Klägers während der Probezeit. Sie gab an, dass der Kläger seit dem 11.3.2013 bei ihr beschäftigt sei und zwar "als Praktikant, ab 1.8.2013 als KEH Azubi". Als Grund für die beabsichtigte Kündigung wurde mitgeteilt: "Herr K hat unseren Erwartungen aufgrund fehlender Eigeninitiative nicht entsprochen. Er wird innerhalb der Probezeit, die am 31.10.2013 endet, gekündigt." Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu. Mit Schreiben vom 29.10.2013, welches dem Kläger am gleichen Tag zuging, kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis zum 29.10.2013.
Die Klage, die damit begründet wurde, die Kündigung sei erst nach Ablauf der Probezeit erklärt worden, hatte keinen Erfolg. Nach § 20 S. 1 BBiG beginnt das Berufsausbildungsverhältnis mit der Probezeit. Eine Anrechnung von Zeiten, in denen zwischen dem Ausbildenden und dem Auszubildenden bereits ein anderes Vertragsverhältnis bestand, sieht § 20 BBiG nicht vor. Die Vorschrift knüpft bereits nach ihrem klaren Wortlaut, allein an den rechtlichen Bestand des Ausbildungsverhältnisses an. Selbst bei mehreren Ausbildungsverhältnissen zwischen denselben Parteien beginnt demnach jedes nach einer rechtlichen Unterbrechung neu begründete Ausbildungsverhältnis erneut mit einer Probezeit. Ebenso stehen Zeiten eines anderen Vertragsverhältnisses derselben Parteien vor Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses weder der Vereinbarung einer Probezeit im Berufsausbildungsverhältnis entgegen noch findet eine Anrechnung auf die gem. § 20 S. 1 BBiG zu vereinbarende Probezeit statt. Eine erneute Vereinbarung einer Probezeit ist nur dann unzulässig, wenn zwischen dem neuen Berufsausbildungsverhältnis und dem vorherigen Ausbildungsverhältnis derselben Parteien ein derart enger sachlicher Zusammenhang besteht, dass es sich sachlich um ein Berufsausbildungsverhältnis handelt. Insoweit ist § 20 S. 1 BBiG teleologisch zu reduzieren (BAG, Urt. v. 12.2.2015 – 6 AZR 831/13, Rn 29 ff.).
Auch der Zweck der Probezeit, die gesetzlich (zwingend) vorgeschrieben ist, soll einerseits sicherstellen, dass der Ausbildende den Auszubildenden dahingehend überprüfen kann, ob dieser für den zu erlernenden Beruf geeignet ist und sich in das betriebliche Geschehen mit seinen Lernpflichten einordnen kann. Andererseits muss die Prüfung, ob der gewählte Beruf seinen Vorstellungen und Anlagen entspricht, auch dem Auszubildenden möglich sein. Beiden Vertragspartnern soll ausreichend Gelegenheit eingeräumt werden, die für das Ausbildungsverhältnis im konkreten Ausbildungsberuf wesentlichen Umstände eingehend zu prüfen.
Hinweise:
- Die Probezeit ist spezifisch auf das jeweilige Ausbildungsverhältnis mit seinem spezifischen Pflichtenkatalog nach §§ 13, 14 BBiG bezogen.
- Das BAG stellt nun erstmals klar, dass weder ein Praktikum noch ein sonstiges Ausbildungsverhältnis nach § 26 BBiG und auch keine Einstiegsqualifizierung nach § 54a SGB III auf die Probezeit angerechnet werden. Die Entscheidung erteilt einer schwierigen Einzelfallprüfung und Abwägung in Bezug auf etwaige Anrechnungserfordernisse zugunsten einer eindeutigen Nichtanrechnung eine Absage.
- Ob eine Anrechnung der Praktikumszeit auf die Probezeit des Ausbildungsverhältnisses ausdrücklich vereinbart werden kann, hatte das BAG nicht zu entscheiden. Eine Anrechnung stünde aber dem Wortlaut und dem Sinn des § 20 BBiG entgegen.