Bei der Ausweisung eines Ausländers stellt sich die Frage der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, wenn er dadurch gezwungen wird, die häusliche Gemeinschaft und den direkten Kontakt zu seinem minderjährigen Kind für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum aufzugeben. Das BVerwG hat in seinem Beschluss vom 21.7.2015 (1 B 26.15, AuAS 2015, 194 f.) dargelegt, dass es bei der im Rahmen der Ermessensentscheidung zu prüfenden Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung einer einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung des für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien bedürfe. Zwar genießt danach das Familienleben auch nach der Grundrechte-Charta (GR-Charta) besonderen Schutz. In Art. 7 GR-Charta, der Rechte enthält, die den in Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechten entsprechen, wird das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anerkannt. Diese Vorschrift ist zudem in Verbindung mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GR-Charta und unter Beachtung des in deren Art. 24 Abs. 3 niedergelegten Erfordernisses zu lesen, dass das Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Eltern unterhält. Das BVerwG weist aber zugleich auf die Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 27.6.2006 – C-540/03) hin, wonach ein angemessener Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herbeizuführen ist, aber sich hieraus ein das Ermessen auf Null reduzierender, grundsätzlicher Vorrang des Kindeswohls nicht ergibt. Vor diesem Hintergrund geht es davon aus, dass Art. 7 und 24 GR-Charta kein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Interessen zu entnehmen sei.

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