Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für sich selbst. Unkenntnis des Aufenthaltsorts der Eltern. missbräuchliche Unkenntnis. fehlende Bemühungen zur Ermittlung des Aufenthaltsorts. erforderliche Einschaltung des Suchdienstes des Roten Kreuzes. keine Gefährdung der Eltern durch Suchaktivitäten. erforderliche Nachfrage bei Freunden und Verwandten im Herkunftsland. keine Erforderlichkeit der Ermittlung einer konkreten Zustellungsadresse
Orientierungssatz
1. Es ist von einer missbräuchlichen Unkenntnis des Aufenthaltsorts der Eltern nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 BKGG 1996 auszugehen, wenn sich das Kind jeglichen Bemühungen, den Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen, verschließt (hier: Nichteinschaltung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes).
2. Wenn den Behörden des Fluchtlandes bereits bekannt ist, dass das Kind aus dem Land geflohen ist, ist nicht ersichtlich, inwiefern das Bekanntwerden von Suchaktivitäten (hier: des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes) zu einer Gefährdung der dort verbliebenen Eltern führen sollte.
3. Zur Vermeidung einer Unkenntnis über den Aufenthaltsort der Eltern ist das Kind ggf auch angehalten, über noch im Herkunftsland befindliche Freunde oder Bekannte den Aufenthaltsort der Eltern in Erfahrung zu bringen.
4. Der Aufenthalt der Eltern iS des § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 BKGG 1996 verlangt keine dem deutschen Zustellungsrecht genügende Adresse.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Kindergeld für sich selbst.
Der 1996 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im September 2015 nach Deutschland ein. Mit Bescheid vom 8. Februar 2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Der Kläger beantragte im Juli 2016 die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Im Antrag gab er an, der Aufenthaltsort seiner Eltern sei ihm nicht bekannt. Diese befänden sich noch in Aleppo. Es habe zuletzt Kontakt telefonisch, per E-Mail oder SMS bestanden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. September 2016 ab und begründete dies damit, die Voraussetzung, dass der Aufenthaltsort der Eltern nicht bekannt ist, liege nicht vor. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein.
Im August 2018 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Er gab nunmehr an, der Aufenthalt der Eltern sei ihm nicht bekannt. Zum Vater habe er zuletzt im April 2016 telefonisch, per Mail oder SMS Kontakt gehabt, zur Mutter im August 2015 persönlich. Bemühungen, den Aufenthalt der Eltern festzustellen, habe er nicht unternommen. Auf Nachfrage gab er weiter an, bei seinem vorherigen Antrag das Formular falsch verstanden zu haben. Tatsächlich sei ihm der Aufenthalt der Eltern nicht bekannt. Mit Schreiben vom 26. November 2018 wies die Beklagte u. a. auf die Möglichkeit eines Suchauftrags beim Deutschen Roten Kreuz hin. Der Kläger teilte mit, eine Suche über das Deutsche Rote Kreuz würde seine Eltern gefährden.
Die Beklagte lehnte den erneuten Antrag mit Bescheid vom 5. März 2019 ab.
Nach der telefonischen Mitteilung der Antragsablehnung beantragte der Kläger am 5. März 2019 nochmals die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Er gab nunmehr an, zu beiden Eltern habe er zuletzt im September 2015 persönlich Kontakt gehabt. Kontaktversuche habe er nicht unternommen, da sonst die Eltern in Gefahr wären. Der Vater sei 2015 mehrere Male verhaftet worden, weil beide Söhne geflohen seien.
Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. August 2019 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2019 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Anspruch auf Kindergeld für sich selbst habe nur, wer Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne. Ein Kindergeldanspruch bestehe bereits dann nicht, wenn der Antragsteller die Kenntnis vom tatsächlichen Aufenthaltsort der Eltern zwar nicht besitze, sich aber in zumutbarer Weise beschaffen könne. Es solle dem Betreffenden nicht überlassen bleiben, den Kindergeldanspruch dadurch zu begründen, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis zum Aufenthaltsort der Eltern verschließe. Dies sei der Fall, wenn auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten nicht wahrgenommen würden. Eine nahe liegende Möglichkeit, den Aufenthaltsort der Eltern zu ermitteln, bestehe etwa darin, sich an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes zu wenden oder bei Behörden nachzufragen. Ein Nachweis dafür, dass eine Recherche über das Deutsche Rote Kreuz oder andere Einrichtungen die Eltern gefährden würde, sei nicht erbracht worden. Da bei der Familienkasse in ähnlichen Fällen bereits entsprechende Anfragen gestellt worden seien, sei dies zu bezweifeln.
Dagegen richtet sich die am 12. September 2019 erhobene Klage. Der Kläger hält den Vorwurf, er habe keine Anstrengungen unternommen, um den Aufenthaltsort seiner Eltern zu ermitteln oder Kontakt zu ihnen aufzunehmen, für n...