Entscheidungsstichwort (Thema)

Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers durch Kündigungsfrist von drei Jahren zum Monatsende aufgrund arbeitsvertraglicher Zusatzvereinbarung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine dreijährige Kündigungsfrist bedeutet für einen "gewöhnlichen" Arbeitnehmer (ohne herausgehobene Stellung in Wissenschaft oder Wirtschaft), dass er einen nahtlosen Übergang in ein neues und möglicherweise besser dotiertes Arbeitsverhältnis nicht planen kann; da er im Zeitpunkt der Kündigung regelmäßig kein neues Arbeitsverhältnis für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist in Aussicht hat, trägt er das Risiko, bei Ausscheiden aus dem alten Arbeitsverhältnis mit leeren Händen dazustehen und zusätzlich noch eine 12-wöchige Sperrzeit beim Arbeitslosengeld und Minderung der Anspruchsdauer wegen Arbeitsaufgabe nach §§ 148, 159 SGB III zu erhalten.

2. Auch eine verständige Arbeitgeberin hat nach Erhalt der Arbeitnehmerkündigung kein Interesse mehr daran, den Arbeitnehmer noch fortzubilden oder ihm eine Vergütungserhöhung zu gewähren.

3. Die Kombination aus langer Kündigungsfrist und Möglichkeit der Freistellung führt dazu, dass sich die Chance des Arbeitnehmers auf die Erlangung einer Anschlussbeschäftigung (weiter) verschlechtert; eine mögliche dreijährige Untätigkeit ist vergleichbar einer Langzeitarbeitslosigkeit, die bekanntermaßen die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt verringert.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1 S. 1, § 622 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Entscheidung vom 12.06.2015; Aktenzeichen 3 Ca 184/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.10.2017; Aktenzeichen 6 AZR 158/16)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 12.06.2015 - 3 Ca 184/15 - teilweise abgeändert und die Klage vollständig abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit einer Eigenkündigung des Beklagten über die Wirksamkeit einer einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von drei Jahren zum Monatsende.

Die Klägerin betreibt als Speditionsunternehmen u. a. seit 2006/2007 eine Niederlassung in ..., in der im Streitzeitraum insgesamt sieben Arbeitnehmer beschäftigt waren. Ihre Geschäftstätigkeit basiert auf nicht langfristigen Verträgen mit Kunden.

Sämtlichen Mitarbeitern der ... Niederlassung standen zur Erledigung ihrer Aufgaben dieselben Informationen über Subunternehmer, Vertrags- und Kooperationspartner, betriebsinterne Kalkulation, Preisgestaltung und Konditionen sowie die bei der Klägerin zur Anwendung kommenden Betriebssysteme zur Verfügung.

Anfang 2014 ließ die Klägerin über ihren zentralen Server das Programm "PC Agent" auf allen Computerarbeitsplätzen in ihrem ... Betrieb installieren. Das Programm arbeitet im Hintergrund und ist vom Benutzer des jeweiligen Computers im Rahmen der normalen Nutzung grundsätzlich nicht zu erkennen. Mit ihm können u. a. alle Tastaturanschläge, Mausklicks, Benutzeran- und -abmeldungen, besuchte Websites, Formulardaten, empfangene und gesendete E-Mails sowie Passwörter und Authentifizierungen protokolliert werden. Eine Information der Mitarbeiter über die erfolgte Installation des Programms erfolgte nicht. Welche Daten die Beklagte tatsächlich protokollieren ließ, ist streitig. Zumindest erfolgt eine Überwachung der Internetnutzung.

Der Beklagte verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Kaufmann für Speditions- und Logistikdienste. Unter dem 24.11.2009 schloss er mit der Klägerin einen Anstellungsvertrag mit Wirkung ab dem 01.12.2009 (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 18.01.2015; Bl. 6 ff. d. A.), der u. a. folgende Bestimmungen enthält:

§ 1

Aufgabengebiet und Kompetenzen

Der Arbeitnehmer wird den weiteren Ausbau und Aufbau der Aktivitäten der Firma für die Niederlassung der ... GmbH in ... in den Bereichen nationale/inter-nationale Charterverkehre als Speditionskaufmann mit verantwortlicher Ergebniskontrolle steuern. Er unterstützt die Geschäftsführung der ... GmbH beim Betriebs- und Geschäftsaufbau.

Der Arbeitnehmer berichtet fachlich und disziplinarisch direkt an die Geschäftsleitung der ... GmbH.

§ 3

Arbeitszeit und Nebentätigkeit

Der Arbeitnehmer hat seine volle Arbeitskraft sowie sein ganzes Wissen und Können in die Dienste der Firma zu stellen. Vereinbart ist eine 45 Stunden-Woche. Die Kernarbeitszeit ist von 8:00 Uhr bis 17:00 Uhr von Montag bis Freitag.

§ 4

Nutzung von Internet und Software

Dem Arbeitnehmer ist es untersagt, das Internet für private Zwecke zu nutzen. (...)

§ 9

Vergütung

Der Arbeitnehmer erhält ein Monatsentgelt in Höhe von € 1.400,- (Eintausendvierhundert Euro) brutto. Dieses Gehalt wird am Ende eines jeden Monats zur Zahlung fällig.

Die Zahlung der Vergütung erfolgt bargeldlos. Hiermit sind alle Ansprüche aus Urlaubs- und Weihnachtsgeld abgegolten.

§ 12

Vertragsdauer und Kündigung

Der Vertrag tritt mit Wirkung vom 01.12.2009 in Kraft und ist auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Der Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.05....

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