Leitsatz (amtlich)
1. Der Vorrang eines Rechtsabbiegers gegenüber einem entgegenkommenden Linksabbieger umfasst auch die Wahl zwischen mehreren Fahrspuren. Der Linksabbieger darf daher grundsätzlich nicht darauf vertrauen, der Rechtsabbieger werde seine Fahrt auf der rechten Fahrspur fortsetzen und die linke Fahrspur nicht in Anspruch nehmen.
2. Derjenige Rechtsabbieger, der unmittelbar die linke Fahrspur ansteuert, hat seinerseits in höherem Maße auf entgegengesetzt abbiegenden Verkehr zu achten, als dies bei einem Einbiegen in die näher gelegene rechte Fahrspur der Fall ist.
Normenkette
StVO § 1 Abs. 2, § 7 Abs. 5, § 9 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 12.05.2023; Aktenzeichen 1 O 226/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 12.5.2023 - 1 O 226/21 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.115,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.5.2021 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung bei der ... AG zur Versicherungsnummer ... infolge des Verkehrsunfallereignisses vom 22.4.2021 in der Straße Zur Ostspange in Saarbrücken entstandenen und künftig entstehenden Rückstufungsschaden auf der Grundlage einer Haftungsquote von 30 % zu 70 % zu Lasten des Klägers zu ersetzen.
3. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.7.2021 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 36 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 64 %.
III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls am 22.4.2021 in Saarbrücken.
Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Ford Focus (amtl. Kennz. ...) die Straße An der Römerbrücke aus Richtung Lyonerring kommend. An der ampelgeregelten Kreuzung der Straßen An der Römerbrücke und Ostspange bog er nach links ab, um seine Fahrt auf der linken der beiden durch eine unterbrochene Linie getrennten Fahrspuren der Ostspange fortzusetzen. Der Beklagte zu 1, der mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw VW Polo (amtl. Kennz. ...) die Straße An der Römerbrücke in entgegengesetzter Richtung befuhr, bog seinerseits an der Kreuzung nach rechts ab und beabsichtigte ebenfalls auf der linken Fahrspur der Ostspange weiterzufahren. Dabei kam es zur Kollision.
Der Kläger hat - nach Inanspruchnahme seiner Kaskoversicherung - erstinstanzlich zuletzt restlichen Schadensersatz von 3.285,71 Euro (Wiederbeschaffungsaufwand 5.250 Euro, Sachverständigenkosten 939,39 Euro, Kostenpauschale 25 Euro, Nutzungsausfall für 22 Tage 946 Euro, Überführungskosten 150 Euro abzgl. Versicherungsleistung 4.024,68 Euro) nebst Zinsen geltend gemacht. Daneben hat er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des ihm in der Vollkaskoversicherung entstandenen und noch entstehenden Höherstufungsschadens sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 800,39 Euro nebst Zinsen erstrebt.
Der Kläger hat behauptet, sein Abbiegevorgang sei bereits beendet gewesen und sein Fahrzeug habe sich vollständig auf der linken Fahrspur der Ostspange in Geradeausfahrt befunden, als der Beklagte zu 1 über die rechte Fahrspur der Ostspange auf die linke Fahrspur gezogen sei.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben behauptet, der Zusammenstoß habe sich noch vor dem Abschluss des Abbiegevorgangs des Beklagten zu 1 ereignet.
Das Landgericht hat das in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Saarbrücken, in dem der hiesige Beklagte zu 1 seinerseits Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall geltend gemacht hatte, eingeholte Sachverständigengutachten verwertet. Durch das angefochtene Urteil (Bl. 183 GA), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter.
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Die Akte 36 C 293/21 (12) des Amtsgerichts Saarbrücken war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren.
II. Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Auffassung des Landgerichts, den Kläger treffe ein die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Unfall, hält einer Überprüfung im Ergebnis ...