Leitsatz (amtlich)
1. Die anwaltlich vertretene Partei darf darauf vertrauen, dass Zustellungen von Entscheidungen, welche den Fortbestand oder die Ausgestaltung der Prozesskostenhilfe betreffen, an ihren Anwalt erfolgen (Anschluss an BGH FamRZ 2011, 463).
2. Unterlässt der Anwalt die erforderlichen Maßnahmen, um der Partei nachteilige Entscheidungen zur Prozesskostenhilfe anzugreifen, da er das Mandat als beendet ansieht, so kann der Partei bei Einlegung eines eigenen Rechtsmittels Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gewährt werden.
3. Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gem. § 124 Nr. 2 ZPO kann nicht darauf gestützt werden, dass die Partei auf Anforderung keine neue Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unter Verwendung des amtlichen Formulars eingereicht hat, weil diese hierzu nicht verpflichtet ist.
Normenkette
ZPO § 124 Nr. 2, §§ 172, § 233 ff.
Verfahrensgang
AG Tübingen (Beschluss vom 13.01.2011; Aktenzeichen 7 F 437/09) |
Tenor
1. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gewährt.
2. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Rechtspflegerin beim AG Tübingen - Familiengericht - vom 13.1.2011 (7 F 437/09) aufgehoben, so dass es bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin verbleibt.
3. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. In dem am 21.7.2009 eingeleiteten Verfahren beantragte die Antragstellerin den Erlass von Gewaltschutzanordnungen gegen den Antragsgegner, sowie die Überlassung der Ehewohnung für die Dauer des Getrenntlebens zu ihrer alleinigen Nutzung. Mit Beschluss des AG Tübingen - Familiengericht - vom 13.8.2009 wurde der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt. Ihr wurden keine Raten oder sonstigen Zahlungen auf die Prozesskosten auferlegt. Das Verfahren endete mit Abschluss einer Vereinbarung der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 13.8.2009.
Mit Schreiben vom 3.7.2010 forderte die Rechtspflegerin die Antragstellerin auf, Angaben zu ihren derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen. Zu diesem Zweck solle sie innerhalb von zwei Wochen die notwendigen Angaben unter Verwendung eines beigefügten Vordrucks machen, entsprechende Belege beifügen und diese Unterlagen bei Gericht einreichen. Nachdem die Antragstellerin hierauf nicht reagiert hatte, wiederholte die Rechtspflegerin ihre Aufforderung mit Verfügung vom 20.12.2010 und drohte die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe für den Fall an, dass die Antragstellerin ihren Erklärungspflichten nicht nachkommt.
Mit Beschluss vom 13.1.2011 hob die Rechtspflegerin die der Antragstellerin bewilligte Prozesskostenhilfe auf.
Gegen diesen der Antragstellerin am 26.2.2011 zugestellten Beschluss legte die Antragstellerin am 13.4.2011 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass sie der Rechtspflegerin bereits mitgeteilt habe, Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) zu sein. Außerdem legte sie einen Bescheid des Jobcenter Zollernalbkreis vom 26.3.2011 vor.
Die Rechtspflegerin half dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 5.5.2011 nicht ab und legte die Akten dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vor.
II. Das nach §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG als sofortige Beschwerde statthafte Rechtsmittel der Antragstellerin gegen die Aufhebung der ihr bewilligten Prozesskostenhilfe ist in der Sache begründet.
Der Senat ist in seiner geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung zur Entscheidung berufen. Das Verfahren wurde vor dem 1.9.2009 eingeleitet. Daher ist das Verfahrensrecht in seiner bis 31.8.2009 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 111 FGG-RG). Das somit maßgebliche Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) verweist in seinem die Prozesskostenhilfe betreffenden § 14 zwar auf die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe (§§ 114 bis 127), nicht jedoch auf § 568 ZPO, welcher die Entscheidungszuständigkeit des Einzelrichters im Beschwerdeverfahren regelt.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig, obgleich diese die Monatsfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gem. § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO versäumt hat. Ihr ist jedoch gem. § 22 Abs. 2 FGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Versäumung der Frist nicht auf ihrem Verschulden beruht. Wie der BGH (FamRZ 2011, 463) entschieden hat, kann eine im Hauptsacheverfahren anwaltlich vertretene Partei darauf vertrauen, dass Zustellungen von Entscheidungen, die den Fortbestand der Prozesskostenhilfe betreffen, an ihren Anwalt erfolgen. Daraus folgt auch, dass die Antragstellerin darauf vertrauen durfte, dass ihr Anwalt die erforderlichen Schritte einleiten würde, um ihr ungünstige Entscheidungen bezüglich des Fortbestandes der Prozesskostenhilfe anzugreifen. Dass ihr Rechtsanwalt wegen des ihm unbekannten Aufenthaltes der Antragstellerin das Empfangsbekenntnis ohne Unterschrift und damit ohne Zu...