Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates in analoger Anwendung des § 104 AktG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates in analoger Anwendung des § 104 AktG kommt nicht allein deshalb schon in Betracht, weil deren Wahl angefochten wurde.

2. Eine analoge Anwendung des § 104 AktG setzt vielmehr eine Situation voraus, die einer akuten Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft gleichkommt.

3. Eine aufschiebend bedingte und auf den Zeitpunkt des Beschlusses rückwirkende gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates ist abzulehnen, da das Auswahlermessen des Registergerichts hierdurch unzulässig beeinträchtigt und die Wahlanfechtungsklage entwertet würde.

 

Normenkette

AktG § 104

 

Tenor

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts München - Registergericht - vom 01.10.2020 wird zurückgewiesen.

2. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 120.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beschwerdeführer sind sämtliche Mitglieder des Vorstands der Gesellschaft. Sie beantragten am 15.09.2020 beim Amtsgericht - Registergericht -, acht namentlich benannte Personen zu Mitgliedern des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu bestellen. Hilfsweise beantragten sie die Bestellung der genannten acht Personen aufschiebend bedingt für den Fall der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung in einem beim Arbeitsgericht anhängigen Verfahren, mit dem die Nichtigkeit oder jedenfalls die Unwirksamkeit der Wahl einzelner oder aller benannter Personen zu Aufsichtsratsmitgliedern festgestellt bzw. erklärt wird und zwar im Falle der Nichtigkeitserklärung mit Wirkung vom Tage der hiesigen gerichtlichen Entscheidung und im Falle der Unwirksamkeitserklärung mit Wirkung vom Tage der rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Hintergrund der Anträge ist ein beim Arbeitsgericht anhängiges Beschlussverfahren gemäß § 22 MitbestG, in dem aufgrund behaupteter formeller Wahlmängel die Feststellung der Nichtigkeit bzw. hilfsweise die Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl aller acht Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat geltend gemacht wird. Ferner beantragten die Beschwerdeführer die gerichtliche Bestellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats und - für den Fall seiner (ggf. aufschiebend bedingten) gerichtlichen Bestellung zum Mitglied des Aufsichtsrats - dessen Stellvertreter, nachdem im Anschluss an die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden die Wahl des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Das Registergericht hat mit Beschluss vom 01.10.2020 sämtliche Anträge abgelehnt, der Gesellschaft die Kosten des Verfahrens auferlegt und den Geschäftswert auf 120.000 EUR festgesetzt. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde vom 20.10.2020.

II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat es das Registergericht abgelehnt, die benannten Personen zu Aufsichtsratsmitgliedern bzw. zu (stellvertretenden) Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu bestellen.

1. Die gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrats setzt voraus, dass der Aufsichtsrat beschlussunfähig ist (§ 104 Abs. 1 Satz 1 AktG), dass eine länger als 3 Monate andauernde Unterbesetzung vorliegt (§ 104 Abs. 2 Satz 1 AktG) oder dass bei einer weniger als 3 Monate andauernden Unterbesetzung ein dringender Fall vorliegt (§ 104 Abs. 2 Satz 2 AktG). In mitbestimmten Gesellschaften ist ferner gemäß § 104 Abs. 3 Nr. 2 AktG stets von einem dringenden Fall auszugehen, wenn dem Aufsichtsrat nicht alle Mitglieder angehören, aus denen er nach Gesetz oder Satzung zu bestehen hat. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor.

Eine Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats ist ebenso wenig gegeben wie eine Unterbesetzung bzw. ein sonstiger dringender Fall (der jedenfalls auch eine Unterbesetzung voraussetzt). Der Aufsichtsrat der Gesellschaft ist derzeit vollständig besetzt und dementsprechend auch beschlussfähig. Zu Recht hat das Registergericht darauf hingewiesen, dass die Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG dem Wortlaut nach eine bereits bestehende Vakanz im Aufsichtsrat voraussetzt. Die Wahlanfechtung führt aber bis zur Rechtskraft eines Anfechtungsurteils nicht zur Unterschreitung der Mitgliederzahl, so dass § 104 AktG jedenfalls nicht direkt angewandt werden kann (Hüffer/Koch AktG 14. Aufl. ≪2020≫ § 104 Rn. 8; BeckOGK/Spindler AktG Stand:19.10.2020 § 104 Rn. 35). Die Anhängigkeit einer gegen die Wahl eines Aufsichtsrats gerichteten Anfechtungsklage hat bis zur Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils keine Auswirkungen auf das Amt des Mitglieds, dessen Wahl angefochten ist (MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. ≪2019≫ AktG § 104 Rn. 12). Die bloße Anhängigkeit einer Anfechtungsklage begründet per se keine Unterbesetzung (Gasteyer in: Semler/v.Schenk Der Aufsichtsrat 1. Aufl. ≪2015≫ AktG § 104 Rn. 66). Insofern ist der Vortrag der Beschwerdeführer auch nicht nachvollziehbar, dass eine satzungsmäßige Besetzung von Aufsich...

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