Leitsatz (amtlich)

Sind deliktische Ansprüche des Erwerbers eines vom "Dieselskandal" betroffenen Fahrzeugs gegen den Hersteller verjährt, so kommt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB in Betracht. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich um den Kauf eines Neuwagens gehandelt hat.

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Aktenzeichen 15 O 425/19)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 07.08.2020 - 15 O 425/19 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Beklagte.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.859,49 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO).

II. Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel nach einstimmiger Überzeugung des Berufungsgerichts offensichtlich nicht begründet ist, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern, gegen die die Revision zuzulassen wäre und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht der Klage im tenorierten Umfang stattgegeben.

Der Klägerin und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Klägerin) steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 826, 31, 852 BGB zu.

Sie kann von der Beklagten auf dieser Grundlage die Zahlung eines dem Kaufpreis entsprechenden Betrages abzüglich der von ihr erzielten Nutzungsvorteile nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen.

1. Die Beklagte haftet der Klägerin aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB.

a. Die Inverkehrgabe des von der Beklagten hergestellten Motors ... ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen.

aa. Die im Fahrzeug der Klägerin vorhandene Einrichtung, die bei erkanntem Prüfstandslauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dar (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007 S. 1 ff.; im Folgenden: VO 715/2007/EG) (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - NJW 2020, 1962 Rn. 17; OLG München, Urt. vom 15.7.2020 - 20 U 3510/19).

Die unzulässige Abschalteinrichtung konnte grundsätzlich dazu führen, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entsprach (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1113 Rn. 20).

bb. Wenn ein Fahrzeughersteller, wie hier, im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart makelbehafteten Fahrzeuge alsdann in den Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen des Fahrzeugkäufers gezielt ausnutzt, steht dies wertungsmäßig einer unmittelbaren Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - NJW 2020, 1962 Rn. 25). Die Beklagte trifft das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick die Schädigung aller unwissenden Käufer der genannten Fahrzeuge. Diese Schädigung stellt die zwangsläufige Folge des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge dar und liegt damit unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - NJW 2020, 1962 Rn. 25).

b. Der vormalige Vorstand der Beklagten hat von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst. Dieses Wissen ist der Beklagten zuzurechnen (§ 31 BGB).

Die Klägerin hat dazu vorgetragen, wer nach ihrem Wissensstand zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von den Entscheidungen bei der Beklagten gehabt und diese seitens des Vorstands der Beklagten gebilligt bzw. angeordnet hat. Auch hat sie vorgetragen, dass dies im Bewusstsein erfolgte, über die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge zu täuschen. Dabei standen ihr allein öffentlich zugängliche Quellen zur Verfügung. Eine weitergehende Darlegung ist ihr daher nicht möglich. Diesem Vortrag ist die Beklagte im Rahmen der sie insoweit treffenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend entgegengetreten. Die Einlassung der Beklagten, nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei...

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