Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestandsschutz. Vertrauensschutz. Anstaltswechsel. Fortbestehen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu der Frage, ob ein in einer Maßregelvollzugseinrichtung durch die dortige Gestattung des Besitzes und der Nutzung eines eigenen elektronischen Gerätes begründeter Vertrauens- bzw. Bestandsschutz bei einem Wechsel in eine andere Maßregelvollzugseinrichtung fortbesteht.

2. Soll eine einmal gewährte Rechtsposition nachträglich wieder entzogen werden, so stellt sich jeweils die Frage, ob das Vertrauen des Betroffenen auf den Fortbestand der ihm - sei es auch zu Unrecht - eingeräumten Rechtsposition enttäuscht werden darf. Das Rechtsstaatsgebot und das aus ihm folgende Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes führen nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass jegliche einmal erworbene Rechtsposition ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muss sondern nötigt zu der an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit ausgerichteten, im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit gegen das Interesse des Strafgefangenen am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage.

3. Den vorgenannten Grundsatz (Fortwirkung des Bestandsschutzes nach Verlegung in eine andere Anstalt) hat der Senat auch auf den Bereich des Maßregelvollzuges unter Geltung des MRVG NRW übertragen, da die Zielrichtung und der Regelungsgehalt des § 7 Abs. 3 MRVG NRW weitgehend dem des § 15 Abs. 2 StVollzG NRW (in der bis zum 27.04.2022 gültigen Fassung) entsprach und der Gesetzeswortlaut sowie die Gesetzesmotive zu § 7 MRVG NRW ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür boten, dass die Gestattung der Einbringung eines Gegenstandes und dessen Gebrauch sich von vornherein nur auf den Aufenthalt eines Maßregelvollzugspatienten in der "jeweiligen" Einrichtung beziehen solle.

4. Gründe, von den o.g. Grundsätzen nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Durchführung strafrechtsbezogener Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt in Nordrhein-Westfalen (StrUG NRW) abzuweichen bzw. diese nicht auf §§ 19, 20 StrUG NRW zu übertragen, sieht der Senat nicht. Auch nach dem dortigen Regelungsgefüge ist eine nachträgliche Beschränkung des Besitzes und der Nutzung von persönlichen Gegenständen oder deren Wegnahme nur im Ermessenswege möglich (§§ 19 Abs. 3 S. 2, 20 Abs. 2 StrUG NRW), d.h. es bedarf jeweils einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Abwägung des Interesses der Allgemeinheit gegen das Interesse des Untergebrachten am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage.

5. Daran ändert auch nichts, dass derGesetzgeber zwischenzeitlich für den Bereich des Strafvollzuges durch die am 28.04.2022 in Kraft getretene Änderung des § 15 Abs. 2 S. 2 StVollzG NRW nunmehr seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass sich der im Zusammenhang mit der Bewilligung des Besitzes von Gegenständen zu beachtende Bestandsschutz nur auf die jeweilige Anstalt bezieht. § 20 Abs. 1 S. 2 StrUG NRW enthält eine entsprechende Beschränkung gerade nicht und auch den Gesetzesmotiven ist ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers nicht zu entnehmen, obgleich die zu der inhaltlich vergleichbaren Vorschrift des § 15 Abs. 2 S. 2 StVollzG NRW (in der bis zum 27.04.2022 geltenden Fassung) ergangene Senatsrechtsprechung bekannt war.

 

Normenkette

StrUG NRW § 20; MRVG NRW § 7 Abs. 3; StVollzG NRW § 15 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

Die Entscheidung des Leiters des LWL-A. X. vom 19.05.2023 (Ablehnung des Antrags auf Herausgabe des bei der Habe befindlichen MP3-Players Philips GoGEAR) wird aufgehoben.

Der Leiter des LWL-A. X. wird verpflichtet, den Antrag des Betroffenen vom 15.05.2023 (Herausgabe des bei der Habe befindlichen MP3-Players Philips Go GEAR) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Kosten des (gesamten) Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last (§ 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung).

 

Gründe

I.

Gegen den Betroffenen wurde durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 30.06.2014 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Maßregel wurde zunächst im LWL-A. X. (LWL-ZfP X.) vollzogen. In der Zeit vom 31.08.2021 bis 17.04.2023 erfolgte der Maßregelvollzug in der LWL-Klinik Schloss P. in W.. Seit dem 18.04.2023 befindet sich der Betroffene wieder im LWL-ZfP X..

Eine nach Rückkehr in das LWL-A. X. am 15.05.2023 von dem Betroffenen beantragte Herausgabe eines bei seiner Habe befindlichen MP3-Players der Marke Philips (GoGEAR) lehnte die Klinik mit Bescheid vom 19.05.2023 mit der Begründung ab, der Gegenstand werde aufgrund seiner Nutzungsmöglichkeit als Massenspeichergerät und zum Datentransport - vergleichbar einem USB-Stick - als sicherheitskritisch bewertet. Er sei in der Einrichtung nicht zugelassen, da über derartige Geräte die Mög...

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