Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterstützungshandlungen. Hilfeleistung. ausreisepflichtiger Ausländer. Verletzung. Ausreisepflicht. Beihilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Werden gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer Unterstützungshandlungen erbracht, durch die objektiv die Verletzung der Ausreisepflicht gefördert und erleichtert wird, so können humanitäre Gründe nur in Ausnahmefällen zur Straflosigkeit solcher Unterstützungshandlungen führen, etwa wenn die Hilfeleistungen der Behebung einer akuten Notsituation dienen und ihr Umfang nicht über das Maß der im Einzelfall gebotenen - in der Regel kurzfristigen - Nothilfemaßnahmen hinausgeht.

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Entscheidung vom 13.07.2009)

 

Tenor

Das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 13.07.2009 wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Herford vom 4. Dezember 2008 wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,- EUR verurteilt worden. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil den Angeklagten freigesprochen.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte ist evangelischer Pfarrer in einer Pfarrgemeinde in X. Daneben erteilt er Religionsunterricht an Schulen.

Im Herbst 2005 kam er in Kontakt mit der türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit H sowie deren 1990 und 1992 geborenen Töchtern. Diese sind im Jahr 2000 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo sie einen Asylantrag und nach dessen Ablehnung einen Folgeantrag stellten. Dieser wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.2003 abgelehnt. Die Antragsteller - Frau H und ihre Töchter - wurden in diesem Bescheid aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihr die Abschiebung in die Türkei angedroht.

Der Bescheid vom 03.02.2003 ist am 06.02.2004 bestandskräftig geworden. Bis zum 23.02.2004 ist sodann die Abschiebung ausgesetzt worden.

In der Folgezeit tauchte Frau H mit ihren Töchtern unter, um nicht abgeschoben zu werden. Der Ehemann der Frau H, mit dem sie lediglich nach ethnischem Recht verheiratet war, flüchtete in ein anderes Land. Im August 2004 wurde Frau H seitens der Ausländerbehörde des Kreises T zur Fahndung ausgeschrieben.

Frau H ist mit ihren Töchtern zunächst bei verschiedenen türkischen/kurdischen Familien untergekommen. In dieser Zeit lernte sie einen neuen - ebenfalls türkischen - Partner kennen, der über eine Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik verfügte und den sie in der Bundesrepublik heiraten wollte. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt hat sie sich an das "Netzwerk Kirchenasyl", eine Initiative mehrerer hiesiger Kirchengemeinden, die sich der Beratung und Unterstützung Verfolgter verschrieben hat, gewandt. Seitens des Netzwerks wurde für sie und ihre Kinder im Kreis X eine Unterkunft gefunden. Im Herbst 2005 kam der Angeklagte, der ebenfalls ehrenamtlich im Netzwerk mitarbeitete, in Kontakt mit Frau H. Der Angeklagte erfuhr von der ausländerrechtlichen Situation der Frau H und deren Töchter. Ihm wurde bekannt, dass diese in der Bundesrepublik kein Aufenthaltsrecht mehr hatten, zur Ausreise verpflichtet waren und aus diesem Grund bereits seit geraumer Zeit untergetaucht waren.

Der Angeklagte führte diverse Gespräche mit Frau H, in deren Zentrum die Frage einer Heirat mit ihrem neuen Lebenspartner in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Überwindung ihres ausländerrechtlichen Status und die Legalisierung ihres Aufenthalts standen.

Eine Ausreise bzw. Rückkehr in die Türkei kam für Frau H, wie sie dem Angeklagten nach dessen Darstellung mehrfach erklärt hat, nicht in Frage. Diese äußerte ihm gegenüber den festen Entschluss, nicht aus Deutschland auszureisen. Frau H hat dem Angeklagten dabei mitgeteilt, dass sie in der Türkei unter dem Vorwurf, für die kurdische Untergrundorganisation PKK tätig zu sein, inhaftiert und misshandelt worden sei. Ferner hat sie gegenüber dem Angeklagten geäußert, Angst vor der in der Türkei lebenden Familie ihres Ehemannes zu haben, seitens derer ihr mit der Wegnahme ihrer Kinder gedroht worden sei. Nach dem Eindruck des Angeklagten war das Land Türkei für sie "angstbesetzt".

Frau H äußerte gegenüber dem Angeklagten ferner, an Krebs erkrankt zu sein und unter psychischen Problemen, die sich in Form von Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit äußerten, zu leiden.

Der Angeklagte hat die mittellose Frau H in diesem Zeitraum während finanzieller Notlagen mit gelegentlichen Zuwendungen kleinerer Geldbeträge unterstützt. Daneben erhielt Frau...

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