Entscheidungsstichwort (Thema)
Kartellschadensersatzansprüche als Folge eines Informationsaustauschs auf Lieferantenebene
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bindungswirkung des Bußgeldbescheides einer Kartellbehörde beschränkt sich auf die Feststellungen zum Kartellrechtsverstoß und umfasst nicht die Schadensentstehung und Schadenskausalität.
2. Die Kartellbetroffenheit ist als "persönliche Betroffenheit" zu verstehen, für die es genügt, dass der Anspruchssteller als unmittelbarer Abnehmer Waren von den am wettbewerbswidrigen Verhalten Beteiligten bezogen hat.
3. Bei einem kartellrechtswidrigen, reinen Informationsaustausch (über den Stand der Jahresvereinbarungen mit ausgewählten Einzelhändlern, beabsichtigte Bruttopreiserhöhungen, Sonderforderungen und Kenngrößen vertrieblicher Tätigkeit) streitet kein Anscheinsbeweis für einen kartellbedingten Schaden.
4. Innerhalb der stattdessen vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller vorgebrachten oder bindend festgestellten indiziellen Umstände kommt einer diesbezüglichen tatsächlichen Vermutung im Sinne eines Erfahrungssatzes im Einzelfall kein maßgebliches Gewicht zu, wenn zahlreiche Indizien vorliegen, die einer preissteigernden Wirkung der Kartellabsprache entgegenstehen.
5. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aufklärung des behaupteten Kartellschadens ist nicht veranlasst, wenn der Anspruchsteller den reklamierten Schaden nicht schlüssig vorträgt. Daran kann es fehlen, wenn sich das dazu vom Anspruchsteller vorgelegte Parteigutachten auf eine nachweislich unzutreffende Tatsachengrundlage stützt und die Anspruchsgegner methodische Fehler und Widersprüche bei der ökonomischen Analyse und Berechnung aufdecken, denen der darlegungs- und beweisbelastete Anspruchssteller nicht substantiell begegnet ist.
Normenkette
BGB § 823; GWB §§ 1, 33
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.08.2018; Aktenzeichen 2-03 O 239/16) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 10.08.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2-03 O 239/16) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention hat der Kläger zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten und Nebenintervenientinnen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma1 e.K. (nachfolgend: Firma1) Schadensersatz nebst Zinsen und Gutachterkosten von den Beklagten wegen überteuerten Bezugs von Drogeriemarkenartikeln im Zusammenhang mit einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch auf Lieferantenebene.
Wegen des Sachverhalts und des genauen Wortlauts der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen. Diese werden wie folgt zusammengefasst und ergänzt:
Bis zur Insolvenzeröffnung im XX.2012 betrieb Firma1 eines der bundesweit größten Einzelhandelsunternehmen für Drogerieartikel. Wegen der Konzernstruktur und deren historischer Entwicklung wird auf die vom Kläger erstellte Unternehmenspräsentation (Anlage B 10, AO 4 d. A.) verwiesen.
Drogerieartikel gehören zur Kategorie der sog. "schnelldrehenden" Konsumgüter, die vom Verbraucher für den täglichen Bedarf gekauft werden, sich dementsprechend durch eine vergleichsweise hohe Abverkaufsgeschwindigkeit auszeichnen (engl. Fast Moving Consumer Goods - FMCG) und dem sog. "Non-Food I-Segment" zugeordnet werden. Sie werden sowohl als Markenartikel als auch als Handels- und Eigenmarken vertrieben.
Die Beklagten und Nebenintervenientinnen (nachfolgend: NI) sind die in Deutschland führenden Anbieter von Drogeriemarkenartikeln in den Bereichen Körperpflege, Wasch- und Reinigungsmittel. In diesen Marktsegmenten handelt es sich überwiegend um hochkonzentrierte Märkte, in denen jeweils auf die drei führenden Markenhersteller Marktanteile von mehr als 50 % entfallen. Der Vertrieb ist insoweit zweistufig, als zunächst die Hersteller ihre Produkte an die Handelsstufe absetzen und die Händler sodann die bezogene Ware an die Endverbraucher veräußern. Auf der ersten Stufe der Beschaffung von Drogeriemarkenartikeln stehen sich die Hersteller als Anbieter und die jeweiligen Teilnehmer der Handelsstufe als Abnehmer gegenüber (Beschaffungsmarkt). Auf der zweiten Stufe des Vertriebs an die Endverbraucher stehen sich die Teilnehmer der Handelsstufe als Anbieter und die Endverbraucher als Abnehmer gegenüber (Absatzmarkt).
In den Jahren zwischen 2000 und 2012 vertrieben die Hersteller von Drogeriemarken...