Leitsatz (amtlich)
Die Aufwendungen eines Kraftfahrzeugpflichtversicherers für die noch vor Klageandrohung erfolgte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung des Unfallhergangs können Kosten des Rechtsstreits i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sein, wenn der Gutachtenauftrag erteilt wird.
Normenkette
ZPO § 91
Verfahrensgang
LG Gießen (Beschluss vom 25.06.2008; Aktenzeichen 2 O 392/07) |
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§§ 567 Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Auch in der Sache selbst hat das Rechtsmittel Erfolg.
Zu Unrecht hat das LG die von der Beklagten angemeldeten Kosten für ein von ihr vorprozessual zur Aufklärung des Unfallhergangs eingeholtes Sachverständigengutachten nicht als erstattungsfähig anerkannt. Tatsächlich handelt es sich bei der von dem Sachverständigen SV1 unter dem 16.1.2007 in Rechnung gestellten Vergütung i.H.v. 3.984,43 EUR um notwendige Kosten des Rechtsstreits, die gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig sind.
1. Richtig ist allerdings, dass die Kosten für ein vorprozessual eingeholtes Privatgutachten nur ausnahmsweise als "Kosten des Rechtsstreits" i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden können. Insoweit genügt es nicht, wenn das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird, sondern das Gutachten muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig. Damit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat dabei grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein grundsätzlich nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen (BGH NJW 2003, 1398, 1399; NJW 2006, 2415; NJW 2008, 1597, 1598).
Unmittelbar prozessbezogen ist die Tätigkeit eines Privatsachverständigen regelmäßig dann, wenn das Gutachten erst nach einer vom Gegner ausgesprochenen Klageandrohung in Auftrag gegeben (BGH NJW 2003, 1398, 1399) oder fertig gestellt (BGH NJW 2006, 2415, 2416) wurde. Die Prozessbezogenheit kann aber auch dann zu bejahen sein, wenn ein auf Entschädigung in Anspruch genommener Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer noch vor einer Klageandrohung ein Sachverständigengutachten einholt, weil er aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte den nahe liegenden Verdacht hegt, dass er Opfer eines Versicherungsbetrugs werden soll (OLG Hamm, ZfSch 2003, 145). Besteht hinreichender Anlass für die Vermutung eines unlauteren Zusammenwirkens zwischen den am - angeblichen - Verkehrsunfall unmittelbar Beteiligten, muss der Versicherer, der eine Regulierung ablehnt, in aller Regel mit einer Klage rechnen, da die Gegenseite die ihr vermeintlich günstige Beweisposition ausnutzen möchte. Dies gilt umso mehr, wenn der geschilderte Unfallhergang scheinbar ganz eindeutig für ein Alleinverschulden des Versicherungsnehmers bzw. des Mitversicherten spricht (OLG Koblenz NJW-RR 2004, 286; OLG Rostock MDR 2005, 754).
So liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Wie sich aus dem mit der Klageerwiderung vorgelegten unfallanalytischen Gutachten des Sachverständigen SV1 ergibt, hat die Beklagte den Gutachtenauftrag deshalb erteilt, weil die ihr gegenüber von dem Kläger und von dem Fahrer des versicherten Fahrzeugs, dem Zeugen Z1, abgegebene Unfallschilderung nicht nur den Aussagen der weiteren polizeilich vernommenen Zeugen, sondern auch ihren eigenen in den Ermittlungsakten dokumentierten Angaben am Unfallort widersprach. Wie der Polizeibeamte Z2 bei seiner Vernehmung durch das LG nochmals bestätigt hat, hatte der Zeuge Z1 am Unfallort angegeben, das Klägerfahrzeug sei bei dem Versuch, rechts zu überholen, ins Schleudern geraten. Dies habe, so der Polizeibeamte Z2, den Schilderungen der übrigen Unfallzeugen entsprochen. In den später eingegangenen Unfallbögen hätten der Kläger und der Zeuge Z1 den Unfallhergang dann jedoch völlig anders dargestellt, nämlich dahin, dass der Unfall von dem Zeugen Z1 verschuldet worden sei. Hierüber sei er, der Zeuge Z2, sehr verwundert gewesen. Auch ggü. der Beklagten haben der Kläger und der Zeuge Z1 behauptet, der Unfall sei auf einen Anstoß des versicherten Kraftfahrzeugs gegen das Klägerfahrzeug zurückzuführen, obwohl von einem solchen Anstoß am Unfallort nicht die Rede gewesen war. Die Beklagte musste deshalb annehmen, dass der Kläger beabsichtigte, ihr gegenüber in kollusivem Zusammenwirken mit dem Zeugen Z1 einen tatsächlich nicht gegebenen Schadensersatzanspruc...