Leitsatz (amtlich)
1. Die durch eine ärztliche Dokumentation begründete Vermutung für ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild (hier: Arrythmia absoluta) kann auch durch die Behandlungsunterlagen selbst (hier: EKG-Diagramme) wieder entkräftet werden.
2. Die Festlegung des Behandlungsstandards vor und während einer Nierenoperation einschließlich der Notwendigkeit ergänzender Befunderhebungen wegen festgestellter Vorerkrankungen ist nach dem Grundsatz fachgleicher Begutachtungen einem internistischen Sachverständigen vorbehalten.
3. Wird der Sachverständige im Anschluss an sein Gutachten mündlich angehört und das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien erörtert, ohne dass anschließend ein Schriftsatznachlass beantragt wird, kommt eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wegen neuen Vorbringens regelmäßig nicht in Betracht.
Verfahrensgang
LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 260/14) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 03.03.2017 - 1 O 260/14 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil des Landgerichts Görlitz sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 5) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Nachdem der Senat die Berufung gegen die Beklagten zu 1) bis 4) sowie 6) bis 12) mit Teilurteil vom 14.11.2017 als unzulässig verworfen hat, richtet sich die Berufung nur noch gegen die Beklagte zu 5) (im Folgenden Beklagte).
Der am xx.xx.1943 geborene Kläger wurde am 17.06.2011 wegen eines Nierenkarzinoms rechts und massiver Makrohämaturie (Blut im Urin) im Hause der Beklagten aufgenommen. Bei bekannter arterieller Hypertonie wurde ein EKG angefertigt. Im Befund vom 20.06.2011 wurden eine normfrequente Arrhythmia absoluta (Herzrythmusstörung, Vorhofflimmern) und ein AV Block II Typ Wenckebach (Erregungsleitung zwischen Vorhof und Herzkammern am AV-Knoten verzögert oder unterbrochen) festgehalten. Am 23.06.2011 erfolgte die Tumornephrektomie rechts. Am Abend des 26.06.2011 erlitt der Kläger einen Schlaganfall mit inkompletter Hemiparese rechts bei Apraxie (Bewegungsstörung). Er wurde in die Neurologische Abteilung im Hause der Beklagten verlegt. Am gleichen Tag wurden eine Computertomographie und am 29.06.2011 ein MRT durchgeführt. Es zeigten sich infarkttypische Veränderungen.
Der Kläger hat - gestützt auf private Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K... - Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin - und Dr. S... - Facharzt für Innere Krankheiten - behauptet, die Behandlung im Hause der Beklagten sei grob fehlerhaft gewesen und hätte zu dem vermeidbaren Schlaganfall und den schweren Folgen geführt. Präoperativ hätten eine Echokardiografie und eine transösophageale Echokardiografie durchgeführt werden müssen, um vor der Operation mögliche Thromben im Bereich der Vorhöfe auszuschließen. Des Weiteren hätte die Einsetzung eines Herzschrittmachers erwogen werden müssen. Grob fehlerhaft sei es angesichts der Befunde - nämlich der absoluten Arrhythmie und des ungeklärten Verdachts auf einen Tumorthrombus - gewesen, postoperativ auf eine Heparinisierung zu verzichten. Dies sei auch im Hinblick auf eine massive Hyperfibrinogenämie (erhöhte Konzentration des gerinnungsfördernden Fibrinogens) unverständlich. Die Dosierung von Clexane hätte postoperativ von 40 mg auf 80 mg erhöht werden müssen. Des Weiteren hätte nach dem Schlaganfall eine lokale Lyse im Gefäßbett (über einen intravasal in das cerebrale Gefäßstromgebiet geschobenen Katheter) durchgeführt werden müssen. Dieses Verfahren sei zum Behandlungszeitpunkt schon etabliert gewesen. Der Kläger hätte hierzu in die interventionelle Radiologie an einer anderen Klinik verlegt werden müssen. Damit hätten die Schwerstschädigungen vermieden werden können. Der Kläger sei für den Rest seines Lebens ein Pflegefall, daher sei ein Schmerzensgeld von 150.000,00 EUR angemessen. Des Weiteren habe er einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere immaterielle und materielle Schäden.
Die Beklagte hat behauptet, die Behandlung sei entsprechend dem Facharztstandard durchgeführt worden. Präoperativ hätten zwei internistische Konsile zur Optimierung der Blutdruckmedikation stattgefunden. Die arterielle Hypertonie sei gut eingestellt worden. Die EKG-Ableitung vom 17.06.2011 habe entweder einen Sinusrythmus oder eine Arrhythmie bedingt durch den AV Block II. Grades Typ Wenckebach gezeigt. Auch postoperativ sei im Rahmen des Langzeit-EKG ein Sinusrhythmus beschrieben worden. Die Erhebung weiterer präoperativer Befunde sei nicht geboten gewesen. Zudem habe für den blutenden Nierentumor eine dringende Operationsindikation bestanden. Der Kläg...