Entscheidungsstichwort (Thema)
Örtliche Zuständigkeit bei beabsichtigtem dauerhaften Verbleib am neuen Aufenthaltsort
Verfahrensgang
AG Chemnitz (Beschluss vom 19.12.2013) |
Tenor
1. 1. Auf die sofortige Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Chemnitz vom 19.12.2013 abgeändert:Die Ablehnung des Richters am AG ... durch die Mutter wird für begründet erklärt.
2. Der Mutter wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und zur Vertretung Rechtsanwalt R. B., H., beigeordnet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Aus der Sicht der Mutter besteht ein objektiv vernünftiger Grund, der sie besorgen lassen kann, der abgelehnte Richter stehe ihr nicht unbefangen gegenüber. Diese Sorge ergibt sich aus der willkürlichen Bejahung der örtlichen Zuständigkeit des AG - Familiengericht - Chemnitz durch den Richter.
Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§§ 6 Abs. 1 FamFG, 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lassen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 42 Rz. 8 m.w.N.). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der "böse Schein", d.h., der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Entscheidend ist, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfG NJW 2012, 3228; BGH, NJW 2006, 2491, 2494).
Die Zugrundelegung einer den Beteiligten ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertigt nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Auch auf die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung kommt es regelmäßig nicht an (vgl. BGH NJW 2002, 2396; BAG NJW 1993, 879). Allerdings gilt es zu bedenken, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur den gesetzlichen Richter garantiert, sondern auch einen Richter, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfG NJW 2007, 3771, 3772, m.w.N.). Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund kommt die Annahme einer solchen Besorgnis in Betracht, wenn die Auslegung des Gesetzes oder dessen Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist, oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite dieser Verfassungsgarantie in grundlegender Weise verkennt (vgl. BVerfG NJW 2012, 3228; BGH NJW-RR 2012, 61; jeweils m.w.N.).
Die Ansicht des abgelehnten Richters, für das von Amts wegen eingeleitete Sorgerechtsverfahren nach § 1666 BGB sei die örtliche Zuständigkeit des AG - Familiengericht - Chemnitz gem. § 152 Abs. 2 FamFG gegeben, ist unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und stellt sich damit als willkürlich dar.
Die für den gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. § 152 Abs. 2 FamFG erforderliche nicht nur geringe oder vorübergehende Dauer bedeutet nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsortes ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte und bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestehen würde. Vielmehr wird der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort nach ganz herrschender Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. nur KG, FamkRZ 2013, 648, 649; OLG Hamm, FamFR 2012, 113; OLG Köln FamRZ 2012, 1406, 1407; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 239; OLG Hamm, FamRZ 2008, 395, 396) und Kommentarliteratur (vgl. etwa Prütting/Helms/Hammer, FamFG, 3. Aufl., § 152 Rz. 5; Schulte-Bunert/Weinreich/Ziegler, FamFG, 4. Aufl., § 152 Rz. 7; Bork/Jacoby/Schwab-Zorn, FamFG, 2. Aufl., § 152 Rz. 4; Musielak/Borth, FamFG, 4. Aufl., § 122 Rz. 5; Kemper/Schreiber-Völker/Clausius, Familienverfahrensrecht, 2. Aufl., § 152 Rz. 3; MünchKommFamFG/Helbig-Lugani, § 122 Rz. 14; Zöller/Lorenz, ZPO, 30. Aufl., § 122 FamFG Rz. 4) grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf längere Zeit angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig an Stelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll. Der BGH vertritt gleichfalls diese Ansicht (vgl. BGH FamRZ 1993, 798, 800; BGH FamRZ 1981, 135, 137).
Vorliegend ist die Mutter mit ihrer Tochter M. J. bereits im Juni 2013 von C. nach B. umgezogen. Gleichzeitig hat sie die Wohnung in C. abgemeldet. Der Verfahrensbeistand teilt in seinem Schriftsatz vom 24.7.2013 mit, dass ihre Wohnung und die der Großmutter nach Aussagen von Dritten nicht mehr möbliert erscheine. Nach den Angaben der Mutter erfolgte der Umzug aus beruflichen Gründen und "wegen besserer Therapiemöglichkeiten" für ihre Tochter. Diese Umstände lassen nur den Schluss zu, dass ihr Aufenthalt in B. zusammen mit dem Kind auf längere Zeit...