Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtvereinbarkeit der derzeitigen Vorsteuerabzugsbegrenzung mit dem Gemeinschaftsrecht; unmittelbare Geltendmachung des vollen Vorsteuerabzugs wegen Vorrangs des Gemeinschaftsrechts
Leitsatz (redaktionell)
Die Begrenzung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 b UStG in 1999 ist derzeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Der Steuerpflichtige kann wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts den vollen Vorsteuerabzug unmittelbar aus der für ihn günstigeren Regelung in Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie geltend machen.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1b; EWGRL 388/77 Art. 17 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger betreibt ein Malerunternehmen. Mit Rechnung vom 29.04.1999 erwarb er einen PKW Mercedes-Benz für 55.086,21 DM zuzüglich 16 % Umsatzsteuer in Höhe von 8.813,79 DM, insgesamt 63.900 DM. Er ordnete diesen PKW seinem Unternehmen zu und nutzt ihn zu 70 % für unternehmerische und zu 30 % für unternehmensfremde Zwecke.
Der Kläger machte in seiner Umsatzsteuervoranmeldung für April 1999 die gesamten Vorsteuern aus dem Kauf des PKW geltend. Der Beklagte erkannte gemäß § 15 Abs. 1 b UStG 99 nur 50 % der Vorsteuern an und setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid aus anderen Gründen, der Gegenstand des Einspruchverfahrens wurde. Der Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger meint, § 15 Abs. 1 b UStG 99 verstoße gegen Artikel 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie. Danach dürften die Mitgliedsstaaten nur die Vorsteuerausschlüsse beibehalten, die bei Erlass der 6. EG-Richtlinie bestanden hätten. Weitergehende Vorsteuerausschlüsse könnten nach Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie nur durch einstimmigen Beschluss des EG-Rates zugelassen werden. Ein solcher Beschluss liege nicht vor und dürfte auch rückwirkend nicht möglich sein.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat April 1999 auf minus ... DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, die Bundesregierung habe mit Schreiben vom 11. Dezember 1998 und einem Ergänzungsschreiben vom 23. August 1999 einen Antrag nach Art. 27 der 6. EG-Richtlinie gestellt, eine von Art. 6 Abs. 2 und Art. 17 der 6. EG-Richtlinie abweichende Maßnahme (Einschränkung des Vorsteuerabzugs) einführen zu dürfen. Es sei davon auszugehen, dass der Rat eine rückwirkende Genehmigung erteilen werde. Deshalb sei die Sache zu vertagen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Gesetzgeber hat in Artikel 7 Nr. 11 Buchst. c des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (BGBl I 1999, 402) mit der Einführung des § 15 Abs. 1 Buchst. b UStG 99 das Recht zum Vorsteuerabzug neu gefasst und begrenzt. Danach sind Vorsteuerbeträge "nur zu 50 vom Hundert abziehbar..., die auf die Anschaffung oder Herstellung, die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen im Sinne des § 1 b Abs. 2 entfallen, die auch für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden." Gemäß § 27 Abs. 3 UStG gilt die Regelung für alle dem Unternehmen zugeordneten Fahrzeuge, die nach dem 31.03.1999 angeschafft oder hergestellt, eingeführt, innergemeinschaftlich erworben oder gemietet und anschließend teilweise privat genutzt werden.
Da der Kläger sein Fahrzeug am 29. April 1999 für sein Unternehmen erworben hat und es zu 30 % privat nutzt, wäre der Vorsteuerabzug nach der genannten Neuregelung auf 50 % begrenzt.
Dem Kläger steht der volle Vorsteuerabzug jedoch abweichend von der deutschen gesetzlichen Neuregelung in § 15 Abs. 1 b UStG 99 nach Artikel 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( 6. EG-Richtlinie) zu. Nach dieser Vorschrift ist der Steuerpflichtige befugt, alle Vorsteuern aus Kosten von der von ihm geschuldeten Umsatzsteuer abzuziehen, die Eingang in seine steuerpflichtigen Umsätze gefunden haben. Die Berechtigung zum uneingeschränkten und sofortigen Abzug der beim Erwerb der Gegenstände geschuldeten Vorsteuer besteht unabhängig davon, wie gering auch immer der Anteil der Verwendung für unternehmerische Zwecke sein mag (vgl. EuGH vom 11.7.1991 Rs C-97/90, EuGHE 1991, 3834 (3843) - Lennartz -). Denn der Unternehmer soll durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten und entrichteten Umsatzsteuer entlastet werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Februar 1985, Rs 268/83, - Rompelmann - , EuGHE 1985, 660 (664)). Dies hat zur Folge, dass eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Regelung insoweit nicht anwendbar ist, wie dieses für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Denn das primäre und sekundäre Gemein...