Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rentenversicherung. erweiterte ambulante Physiotherapie stellt Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung dar

 

Orientierungssatz

Die erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) stellt eine Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung und keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung dar und ist deshalb dem Verantwortungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.02.2010; Aktenzeichen B 1 KR 23/09 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2008 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 1.663,60 Euro zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 1.663,60 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine erweiterte ambulante Physiotherapie - EAP -; ausschlaggebend ist, ob diese eine Leistung zur Krankenbehandlung oder zur Rehabilitation ist.

Der 1962 geborene Versicherte C L - V. - ist bei der Klägerin unfall- und bei der Beklagten krankenversichert. Während seiner Tätigkeit als Straßenbauarbeiter erlitt er am 28. August 2001 infolge eines Arbeitsunfalls eine Prellung des rechten Knies mit folgender Arbeitsunfähigkeit. Am 16. Januar 2002 wurden eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes sowie eine Knorpelschädigung festgestellt. Zur Vorbereitung der Kreuzbandplastik und Befestigung nach der zuvor durchgeführten Operation wurde dem V. von der Klägerin eine EAP gewährt (Bescheid vom 8. April 2002). Wegen des Verdachts auf einen erneuten Riss der Kreuzbandplastik war der Kläger erneut Ende Mai 2002 in stationärer Behandlung, anschließend setzten die physiotherapeutischen Übungsbehandlungen ein. Die Klägerin ließ die EAP bis zum 24. Juli 2002 fortführen.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. November 2002 und Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 stellte die Klägerin gegenüber dem V. fest, dass Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 10. September 2001 hinaus nicht gewährt werden könnten. Es liege kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Kreuzbandriss vor.

Am 28. August 2002 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an und diese verzichtete mit Schreiben vom 19. Mai 2003 auf die Einrede der Verjährung. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Juni 2005 auf, ihr die Kosten für die EAP in Höhe von 1.663,30 € zu erstatten. Grundlage war ein von der Berufsgenossenschaftlichen Klinik B in H am 18. Mai 2005 für die Klägerin erstattetes Gutachten, in dem ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den am 19. Dezember 2001 festgestellten Schädigungen des Gelenks ausgeschlossen wurde. Die Beklagte verweigerte die Zahlung und begründete dies damit, für EAP-Leistungen sei der Rentenversicherungsträger zuständig.

Mit der am 2. Februar 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat dargelegt, ihr stehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - zu. Aus den Patientenunterlagen ergebe sich, dass eine medizinische Behandlung vorgelegen habe. Bis zum 1. Januar 2002 hätten die Krankenkassen EAP und ambulante orthopädisch-traumatologische Rehabilitationen (AOTR) ohne eindeutige gesetzliche Grundlage geleistet. Mit der an diesem Tag in Kraft getretenen neuen Fassung des § 40 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - sei ein ganzheitlicher Behandlungsansatz normiert worden. Nach § 13 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - erbringe der Rentenversicherungsträger keine Leistungen wegen akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit. Er sei aber für Rehabilitation zuständig, wobei die Unterscheidung zwischen Akutversorgung und Rehabilitation schwierig sei. Ziel der Krankenbehandlung sei die Wiederherstellung der Gesundheit, die Rehabilitation hingegen habe zum Ziel, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft umfassend zu ermöglichen. Die in § 26 Abs. 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - aufgezählten therapeutischen Maßnahmen seien nicht von vornherein Leistungen zur Krankenbehandlung oder zur Rehabilitation, sondern würden dies erst durch die mit ihnen verfolgten Ziele. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 11 Abs. 2 SGB V umfassten immer auch notwendige medizinische Leistungen zur Rehabilitation nach § 40 Abs. 1 SGB V als Bestandteil der Akutversorgung. Die EAP stelle eine Fortsetzung der akutmedizinischen Behandlung dar und konzentriere sich ausschließlich auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des ehemals verletzten Körperteils. Sie könne lediglich Teil einer Rehabilitation sein. Die einzelne Leistung für sich allein genommen erfülle jedoch nicht den ganzheitlichen Therapieansatz. Eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers gemäß § 4 SGB V scheide aus, da kein vorleistungspflichtiger Träger vorhanden sei.

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