Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Berufung gegen die vom Sozialgericht ausgesprochene Verpflichtung zur Bescheidung eines Widerspruchs. keine Zulässigkeitsbegrenzung nach § 144 Abs 1 SGG. Streitgegenstand
Leitsatz (amtlich)
Die Berufung gegen die Verpflichtung zur Bescheidung eines Widerspruches unterliegt nicht der Beschwerdewert bezogenen Zulässigkeitsbegrenzung des § 144 Abs 1 SGG. Die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG ist nur auf den Erlass eines beantragten Verwaltungsaktes gerichtet. Eine unmittelbare Klage auf Leistung ist ausgeschlossen. Der Erlass eines Widerspruchsbescheides ist keine Dienstleistung iS des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Mai 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verpflichtet wird, den Widerspruch der Klägerin vom 11. September 2010 zu bescheiden.
Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich gegen seine Verpflichtung zur Bescheidung eines Widerspruches.
Mit Bescheid vom 13. August 2008 bewilligte der Beklagte der am … 1944 geborenen Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 1. September 2008 bis zum 31. August 2009. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2009 zurück. Im dagegen angestrengten, noch anhängigen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Freiburg (≪SG≫ S 4 SO 629/09) macht die Klägerin nach Annahme eines Teilanerkenntnisses hinsichtlich der Nebenkosten für den Kabelanschluss noch die Übernahme der tatsächlichen und nicht der vom Beklagten als angemessen erachteten Grundmiete sowie der vollständigen Betreuungspauschale im Rahmen des betreuten Seniorenwohnens geltend.
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11. August 2009 Leistungen der Grundsicherung auch für den Folgezeitraum vom 1. September 2009 bis 31. August 2010. Mit dem am 11. September 2009 per Fax beim Beklagten eingegangenen Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die vorgenommene Einkommensanrechnung und machte wiederum die Übernahme der Miete und der Betreuungspauschale in vollständiger Höhe geltend. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2009 verwies der Beklagte gegenüber dem Bevollmächtigten der Klägerin hinsichtlich der Punkte Miete und Betreuungsentgelt auf das bereits anhängige Klageverfahren; im Falle eines Obsiegens der Klägerin werde der Beklagte auch den nun mit Widerspruch angefochtenen Bescheid aufheben und entsprechend der gerichtlichen Entscheidung korrigieren. Unter Hinweis auf die nicht absehbare Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens bat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. November 2009 um baldige Entscheidung über den Widerspruch.
Mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 berücksichtigte der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. August 2009 monatliche Beiträge zu einer Unfallversicherung sowie die Kabelanschlussgebühren von € 5.-. Ein Widerspruchsbescheid erging nicht.
Am 30. Dezember 2009 hat die Klägerin Untätigkeitsklage beim SG erhoben, auf die das SG den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 20. Mai 2010 verurteilte, den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 11. August 2009 innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung zu bescheiden.
Am 7. Juni 2010 hat der Beklagte hiergegen Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zu deren Begründung ausgeführt, entgegen der noch im sozialgerichtlichen Verfahren vertretenen Auffassung sei der Bewilligungsbescheid über den Folgezeitraum zwar nicht kraft Gesetzes Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens geworden. Die Untätigkeitsklage sei bereits wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da der Klägerin mit Schreiben vom 20. Oktober 2009 die Korrektur auch des Bescheides vom 11. August 2009 im Falle eines Obsiegens der Klägerin im Verfahren S 4 SO 629/09 verbindlich zugesichert worden sei. Die Bescheidung des Widerspruches vom 11. September 2009 erbrächte der Klägerin mithin keinerlei eigenen Vorteil; die Gebühreninteressen ihres Bevollmächtigten könnten nicht als eigene Interessen der Klägerin gewertet werden. Andererseits werde er durch die Vermehrung von Gerichtsverfahren, denen im Kern derselbe Streitpunkt zugrunde liege, einer vielfachen Kostenbelastung ausgesetzt. Dieser könne er nicht ausweichen, weil der Gesetzgeber den Grundsicherungsträger zwinge, Leistungen jeweils (nur) auf ein Jahr zu bewilligen, so dass eigenständige Gerichtsverfahren über Folgezeiträume bei konsequentem Festhalten an der jeweiligen Rechtsauffassung unvermeidlich seien. Schließlich könne die Klägerin ihre Interessen auch in einem Zugunstenverfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) wahren, weshalb sowohl der Klage als auch bereits...