Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Prüfungsmaßstab. Arbeitslosengeld II. Absenkungs- bzw Sanktionsbescheide. Verweigerung Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches wirkt aus Rechtsschutzgründen über den Erlass des Widerspruchsbescheides hinaus, endet jedoch im sozialgerichtlichen Verfahren mit Rechtshängigkeit der Klage, deren aufschiebende Wirkung eigenständig nach § 86a SGG zu bestimmen ist. Die Auffassung zu § 80 VwGO, wonach auch nach Klageerhebung die aufschiebende Wirkung des Widerspruches maßgeblich ist, lässt sich wegen der abweichenden Konzeption nicht auf das SGG übertragen.
Orientierungssatz
1. Ist sowohl die Vollziehung einer Absenkung nach § 31 Abs 1 S 1 SGB 2 als auch einer Absenkung wegen wiederholter Pflichtverletzung nach § 31 Abs 3 S 1 SGB 2 Streitgegenstand und ist die erste Pflichtverletzung für die spätere Absenkung des Arbeitslosengeld II um 60% mit ausschlaggebend, so scheidet eine nur summarische Prüfung im Hinblick auf den Umfang des Eingriffs in die Grundsicherungsleistung aus.
2. Wird die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet, weil der Sanktionstatbestand nach § 31 Abs 1 S 1 SGB 2 nicht mit der notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erfüllt war, so verbietet dies, die rechtlichen Konsequenzen aus dem Sanktionsbescheid zu ziehen. Eine solche Konsequenz stellt auch die Bewertung eines weiteren Sanktionstatbestandes iS von § 31 Abs 1 S 1 SGB 2 als wiederholte Pflichtverletzung nach § 31 Abs 3 S 1 SGB 2 dar, so dass allenfalls eine - zu einer Absenkung von 30% führende - erstmalige Pflichtverletzung vorliegen kann. Geht die Sanktion des Grundsicherungsträgers darüber hinaus, so ist auch insofern aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
3. Zum Vorliegen einer Pflichtverletzung wegen Verweigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a SGB 2, die keine schwere oder unzumutbare Beeinträchtigung darstellt und daher eine summarische Prüfung nicht ausschließt.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Februar 2008 und vom 28. Februar 2008 abgeändert.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2008 wird angeordnet.
3. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 15. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2008 wird angeordnet, soweit die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2008 um mehr als € 104,00 monatlich aufgehoben wurde.
4. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, an den Antragsteller für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 2008 € 208,00 monatlich und für April 2008 € 104,00, jeweils unter Anrechnung bereits erbrachter Sachleistungen und Stromabschlagszahlungen, auszuzahlen.
5. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
6. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beim Sozialgericht (SG) form- und fristeingelegte Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist sie selbst bei Anwendung des ab 1. April 2008 geltenden Verfahrensrechts statthaft. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung (BGBl. I S. 444) regelt den Ausschluss der Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Der Beschwerdewert übersteigt vorliegend jedoch € 750.- (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG n.F.). Die Beschwerde ist jedoch nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfange begründet.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist die Vollziehung der Absenkung der Regelleistung um 30 v.H. vom 1. Januar bis 31. März 2008 und der entsprechenden teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 26. November 2007 durch Bescheid vom 14. Dezember 2007 sowie der Absenkung der Regelleistung um weitere 60 v.H. vom 1. Februar bis 30. April 2008 und der entsprechenden teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 26. November 2007 durch Bescheid vom 15. Januar 2008 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Januar 2008.
Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass der Antrag des Antragstellers als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG der gegen die genannten Bescheide und die Widerspruchsbescheide vom 23. Januar 2008 erhobenen Klage statthaft ist. Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Absenkung und teilweise Aufhebung einer bereits bewilligten Leistung von Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Klage entfaltet nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Statthaft ist daher im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Antrag auf Anord...