Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbstverpflichtung der katholischen Kirche zur Hilfeleistung im Rahmen der „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger” als selbstständige Rechtsgrundlage. Pfändbarkeit des von der katholischen Kirche zuerkannten Entschädigungsanspruches im Rahmen der §§ 35 Abs. 1, 36 36 Abs. 1 InsO, 829, 851 ZPO, 399 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Selbstverpflichtung der katholischen Kirche zur Hilfeleistung im Rahmen der „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz” stellt eine eigene und selbständige Rechtsgrundlage für Entschädigungsleistungen finanzieller Art dar.

2. Der Pfändbarkeit des von der katholischen Kirche zuerkannten Entschädigungsanspruches im Rahmen der §§ 35 Abs. 1, 36 36 Abs. 1 InsO, 829, 851 ZPO, 399 BGB steht entgegen, dass die Leistung an einen Dritten – hier: an den Treuhänder zur Masse – nicht ohne Veränderung ihres Inhaltes erfolgen kann.

 

Normenkette

InsO § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1, § 203 Abs. 1 Nr. 3, § 204 Abs. 2 S. 2; ZPO §§ 829, 851 Abs. 1; BGB § 399; GG Art. 1-2

 

Verfahrensgang

AG Neustadt an der Weinstraße (Entscheidung vom 22.12.2011; Aktenzeichen 3 IK 88/09)

BGH (Urteil vom 24.03.2011; Aktenzeichen IX ZR 180/10)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 22.05.2014; Aktenzeichen IX ZB 72/12)

 

Tenor

1. Der Beschluss vom 22.12.2011 wird aufgehoben und der Antrag des Treuhänders auf Anordnung der Nachtragsverteilung abgelehnt, soweit er sich auf die Auszahlung von 8.000,– EUR durch das X auf das Konto des Schuldners bezieht (Ziffer 1.2. des Tenors).

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.500,– EUR festgesetzt

 

Tatbestand

I.

Nach Durchführung des auf eigenen Antrag des Schuldners vom 07./11.08.2009 mit Beschluss vom 24.08.2009 (Bl. 34 f) eröffneten und mit Beschluss vom 06.10.2010 (Bl. 87) aufgehobenen Verbraucherinsolvenzverfahrens wurde dem Schuldner durch weiteren Beschluss vom 23.06.2010 (Bl. 80 f) die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt, sofern er während der Dauer der 6-jährigen Wohlverhaltensperiode seinen Obliegenheiten nachkommt.

Mit Schreiben vom 19.07.2011 (Bl.4 ff SB) teilte der Schuldner dem Insolvenzgericht mit, dass er am 15.07.2011 von der X zur Wiedergutmachung einen Betrag von 8.000,– EUR ausgezahlt bekommen habe für in der Kindheit erlittenes Unrecht (sexueller Missbrauch im Y, unterbliebene schulische Förderung durch Einstufung als „leicht schwachsinnig”). Er bat um Auskunft, wie mit diesem Geld verfahren werde, nachdem er „in Insolvenz” sei.

Der Treuhänder beantragte mit Schreiben vom 21.07.2011 (Bl. 21 ff SB) die Anordnung der Nachtragsverteilung hinsichtlich dieser am 16.07.2011 dem Konto des Schuldners gutgeschriebenen 8.000,– EUR sowie weiterer 575,65 EUR, die durch eine Versicherungsgesellschaft aus einer Lebensversicherung am 01.07.2011 überwiesen wurde. Beides seien Vermögenswerte, die bereits bei der Eröffnung des Verfahrens bestanden hätten und damit zur Insolvenzmasse gehörten, aber bislang unbekannt waren. Die Entschädigung in Geld sei als Schmerzensgeldanspruch pfändbar und habe – trotz ggfls. eingetretener Verjährung – bei Verfahrenseröffnung noch bestanden.

Der Schuldner hatte unmittelbar nach der Gutschrift der Beträge hierüber teilweise verfügt (Abhebung von 1.500,– EUR). Nach dem Inhalt zur Akte gereichter Bestätigungsschreiben (Bl. 30 f SB) zahlte der Schuldner 1000,– EUR bzw. 500,– EUR an zwei Bekannte zurück, die ihm während seiner Arbeitslosigkeit Geld für notwendige Anschaffungen bzw. Reparaturen geliehen hatten (vgl. auch Bl. 44 f SB). Die kontoführende Bank hatte daraufhin den Treuhänder kontaktiert, der sie anwies, die verbleibenden Beträge zurückzubehalten bzw. an ihn weiterzuleiten. Dieser vereinnahmte 5.700,– EUR (Bl. 58 SB)

Mit Schreiben vom 09.09.2011 (Bl. 33) erklärte das Bistum Limburg – Bischöfliches Ordinariat, dass die Leistungen der katholischen Kirche freiwillig erfolgt seien und ihrer Ansicht nach nicht im Rahmen der Insolvenz gepfändet werden sollten.

Der Schuldner beantragte mit Schreiben vom 09.10.2011 (Bl. 36 f SB) die Freigabe der verbliebenen Entschädigungsleistung. Die katholische Kirche habe erst im März 2011 eine Regelung über materielle Hilfeleistungen für Betroffene von sexuellem Missbrauch im Bereich der Kirche beschlossen. Seinen Antrag habe er dann im Mai 2011 nach Gesprächen mit dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums gestellt.

Schon nach dem Zweck der Entschädigungsleistung, zur Heilung der Folgen des Missbrauchs beizutragen, müsse der Betrag dem Opfer selbst zukommen.

Die Rechtspflegerin ordnete mit Beschluss vom 22.12.2011 die beantragte Nachtragsverteilung hinsichtlich der dem Konto des Schuldners am 01. und 16.07.2011 gutgeschriebenen Beträge an. Den Antrag des Schuldners auf Freigabe der 8.000,– EUR wies sie zurück. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

Gegen diesen am 27.12.2011 zugestellten Bes...

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