Entscheidungsstichwort (Thema)
"Wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Ankündigung einer Krankschreibung als Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Ankündigung einer Krankschreibung für den Fall der Umsetzung von Corona-Hygienemaßnahmen am Arbeitsplatz. Beschränkte Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts durch das Berufungsgericht
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer verletzt die gegenüber seinem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme erheblich, wenn er, ohne bereits arbeitsunfähig erkrankt zu sein, eine Krankschreibung für den Fall in Aussicht stellt, dass der Arbeitgeber - wie angekündigt - die gesetzlichen Regelungen aus dem Infektionsschutzgesetz umsetze und eine Nachweis- bzw. Testpflicht am Arbeitsplatz gelte.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falles jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht.
2. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts ist nur insoweit überprüfbar, als mit der Berufung schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellung begründen, die also solche Zweifel an den erhobenen Beweisen aufdrängen, dass sie eine erneute Beweisaufnahme gebieten.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1, § 241; ZPO §§ 373, 529 Abs. 1; ArbGG § 64 Abs. 6; ZPO §§ 398, 286 Abs. 1; ArbGG § 69 Abs. 2; ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 16.03.2022; Aktenzeichen 3 Ca 323/21) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.03.2022 zum Aktenzeichen 3 Ca 323/21wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der im April 1992 geborene Kläger war seit dem 01.06.2016 gemäß schriftlichen Arbeitsvertrages (Anlage K 1, Bl. 5 ff d.A.) bei der Beklagten, die einen Dienstleistungsbetrieb/Reinigungsunternehmen mit regelmäßig mehr als 10 beschäftigten Arbeitnehmern führt, als Mitarbeiter im Bereich "Pflege vom Außenanlagen" zu einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.700,00 € beschäftigt.
Während des dem Kläger für den Zeitraum 16.11.2021 - 28.11.2021 gewährten Erholungsurlaubs erfolgte am 19.11.2021 im Betrieb der Beklagten eine Belehrung der Mitarbeiter über die ab dem 24.11.2021 im Unternehmen geltenden gesetzlichen Corona-Arbeitsschutzmaßnahmen, wonach es nur noch vollständig geimpften oder genesenen Arbeitnehmern erlaubt war, die Arbeitsstelle zu betreten bzw. durch Arbeitnehmer, bei denen dies nicht zutraf, ein Betreten nur aufgrund eines tagaktuellen Corona-Tests erfolgen durfte. Dabei ging die Beklagte davon aus, dass ein Test durch eine öffentliche Stelle erfolgen konnte, sie zwei Tests für ihre Arbeitnehmer zur Verfügung stelle und die Arbeitnehmer zwei weitere Tests selbst finanzieren müssten, um eine 5-Tage-Arbeitswoche erfüllen zu können. Der Geschäftsführer der Beklagten beauftragte den Zeugen M. den im Urlaub befindlichen Kläger über den Inhalt dieser Belehrung zu informieren. Am 23.11.2021 kam es gegen 18:00 Uhr zu einem Telefonat zwischen dem Kläger und dem Zeugen M.. Der Inhalt des Telefonates ist streitig. Der Zeuge M. teilte dem Geschäftsführer der Beklagten mit, der Kläger habe während dieses Telefonates sinngemäß geäußert, dass er keinen Cent für Schnelltests ausgebe und sich auch nicht impfen lasse, was der Zeuge dem Geschäftsführer der Beklagten ausrichten solle. Es sei ihm scheiß egal, er mache diesen Quatsch nicht mit und er werde zum Arzt gehen und sich auf unbestimmte Zeit krankschreiben lassen, solange bis es sich vernünftig geklärt habe, mit den Corona-Regeln am Arbeitsplatz. Mit E-Mail vom 30.11.2021 hat der Zeuge den Inhalt des Telefonates für den Geschäftsführer der Beklagten schriftlich zusammengefasst (Anlage B 1, Bl. 21 d.A.).
Nach Beendigung seines Urlaubs erschien der Kläger am 29.11.2021 nicht zur Arbeit und teilte dem Geschäftsführer der Beklagten per E-Mail um 17:54 Uhr mit, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, heute einen Krankenschein abzugeben, da er keinen Arzt habe antreffen können. Der Krankenschein werde morgen nachgereicht. Außerdem bat der Kläger um Ausstellung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses. Der Kläger war am 29.11.2021 nicht vollständig geimpft oder genesen. Er hat bei der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datierend vom 30.11.2021 für den Zeitraum 29.11.2021 - 07.12.2021 eingereicht sowie Folgebescheinigungen bis einschlie...