Entscheidungsstichwort (Thema)
Abberufung eines Betriebsratsmitglieds aus der Freistellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Abberufung eines Betriebsratsmitglieds aus der Freistellung ist jederzeit möglich; für die Abberufung gilt nach § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG entsprechend.
2. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG erfolgt die Abberufung durch Beschluss des Betriebsrats; bei der Auswahl der Freigestellten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bedarf es für die Abberufung einer Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats.
3. Für die Abberufung als solche sieht das Gesetz keine Begründungspflicht des Betriebsrats vor; der Abberufungsbeschluss wird gemäß §§ 38 Abs. 2 Satz 8, 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG in geheimer Abstimmung gefasst.
4. Der vom Gesetz geforderte Minderheitenschutz wird nicht durch die Aufstellung einer Begründungspflicht gewährleistet sondern durch das Erfordernis der Mehrheit von drei Vierteln der Mitglieder des Betriebsrats bei einer Abberufung; auf diese Weise wird sichergestellt, dass ein ursprünglich im Wege der Verhältniswahl für die Freistellung gewähltes Betriebsratsmitglied nicht mit einfacher Mehrheit des Betriebsrats aus dieser wieder abberufen werden kann.
5. Sehr kleine Minderheiten im Betriebsrat werden vom Gesetz nicht geschützt.
6. Bei Ausscheiden eines nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Wege der Verhältniswahl in die Freistellung gelangten Betriebsratsmitglieds ist grundsätzlich das ersatzweise freizustellende Mitglied in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG der Vorschlagsliste zu entnehmen, der das zu ersetzende Mitglied angehört; bei Erschöpfung der Liste ist das ersatzweise freizustellende Mitglied im Wege der Mehrheitswahl zu wählen, so dass der Listenschutz nicht weiter reicht als der Wahlvorschlag.
Normenkette
BetrVG § 25 Abs. 2 S. 1, § 27 Abs. 1 S. 5, § 38 Abs. 2 Sätze 1, 8
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 18.01.2012; Aktenzeichen 8 BV 9/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 18. Januar 2012 - 8 BV 9/11 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses mit dem ein Betriebsratsmitglied - der Beteiligte zu 1. - aus der Freistellung abberufen worden ist.
Bei der Beteiligten zu 3. bildet die Region Nord einen Betrieb mit 9 Standorten. In diesem Betrieb besteht ein Betriebsrat (Beteiligter zu 2.) mit 27 Mitgliedern. Der Beteiligte zu 1. ist Mitglied des Betriebsrats. Bei der Betriebsratswahl in der Zeit vom 18. bis 20. Mai 2010 gab es drei konkurrierende Wahllisten, unter anderem die Liste "Kommunikationsgewerkschaft DPVKOM (DPVKOM)". Die Wahl wurde als Verhältniswahl durchgeführt. Von der Liste "DPVKOM" wurden zwei Bewerber als Betriebsratsmitglieder gewählt, der Beteiligte zu 1. sowie Herr H. Lo..
Auf der anschließenden Betriebsratssitzung wurden für die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder zwei Listen eingereicht. Eine Liste der Fraktion "ver.di" und eine Liste der Fraktion DPVKOM, auf der als einziger Bewerber der Beteiligte zu 1. aufgeführt war, da das andere auf die DPVKOM nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen entfallende Betriebsratsmitglied sich nicht freistellen lassen wollte. Die Abstimmung erfolgte als Verhältniswahl. Der Beteiligte zu 1. wurde sodann freigestellt. Auf das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 26. Mai 2010 (Anlage AG 1, Bl. 44f. d.A.) wird Bezug genommen.
Der Beteiligte zu 1. erhielt von dem Betriebsrat ein Büro in Han. zugewiesen. Einige Betriebsratsmitglieder erhielten ein Betriebsratsbüro in Ha.. Der Beteiligte zu 1. ist in Lü. wohnhaft.
Mit E-Mail vom 19. Juli 2011 (Anlage Ast 7, Bl. 79 d. A.) teilte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende HerrSw. dem Beteiligten zu 1. mit, dass die Reisekostenabrechnungen für Fahrten von Ha. nach Han. nicht freigeben werden könnten. Er begründete dies mit der Regelarbeitsstätte des Beteiligten zu 1. in Han.. Mittlerweile hat der Antragsteller seine Reisekosten für 2011 vollständig erstattet bekommen.
Auf der Sitzung des Beteiligten zu 2. am 4./5. Mai 2011 wurde der Beteiligte zu 1. mit der qualifizierten Mehrheit von ¾ der Stimmen als freigestelltes Betriebsratsmitglied abberufen. Entsprechend dem Protokoll der 9. Sitzung des Betriebsrats (Anlage Ast 6, Bl. 23, 25 d.A.) haben 24 Betriebsratsmitglieder für und zwei gegen die Abberufung des Beteiligten zu 1. aus der Freistellung gestimmt. Es gab eine Stimmenthaltung.
Zuvor, am 2. Mai 2011, hatte es ein Vieraugengespräch zwischen dem Beteiligten zu 1. und Herrn La., dem Vorsitzenden des Beteiligten zu 2. gegeben, in dem es um den Tagesordnungspunkt der Abberufung des Beteiligten zu 1. auf der folgenden Betriebsratssitzung ging (Bl. 143).
Zwischenzeitlich wurde vom Beteiligten zu 2. beschlossen, anstelle des Beteiligten zu 1. ein Betriebsratsmitglied freizustellen, das der Mehrheitsfraktion von ver.di angehört. Herr H. Lo....