Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung. Ehe eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses. Loyalitätspflichtverletzung. Gleichbehandlungsgrundsatz. Verwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses verstößt gegen das Verbot in Art. 5 Abs. 2 GO, eine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe abzuschließen, wenn er nach erfolgter Scheidung eine zweite Ehe eingeht.

2) Stellt ein derartiges Verhalten danach einen an sich geeigneten Kündigungsgrund i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG dar, so kann die Kündigung gleichwohl sozial ungerechtfertigt sein, wenn der katholische Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Kündigung den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Der Arbeitgeber kann überdies mit der Kündigung gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens i. S. d. § 242 BGB verstoßen.

 

Normenkette

KSchG § 1; GO Art. 2, 140; WRV Art. 137; cic § 1 can. 1085, § 2 can. 1085; Grundordnung der katholischen Kirche Art. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen 6 Ca 2377/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.02.2019; Aktenzeichen 2 AZR 746/14)

BAG (EuGH-Vorlage vom 28.07.2016; Aktenzeichen 2 AZR 746/14 (A))

BAG (Beschluss vom 28.07.2016; Aktenzeichen 2 AZR 746/14 (B))

BVerfG (Beschluss vom 22.10.2014; Aktenzeichen 2 BvR 661/12)

BAG (Urteil vom 08.09.2011; Aktenzeichen 2 AZR 543/10)

 

Tenor

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.07.2009 – 6 Ca 2377/09 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der am 20.01.1962 geborene Kläger ist auf der Grundlage eines Dienstvertrags vom 12.10.1999 ab dem 01.01.2000 als „Abteilungsarzt der Abteilung der medizinischen Klinik (Innere Medizin)” des St. W.-Krankenhauses in F. beschäftigt. Er führt die Dienstbezeichnung „Chefarzt”. Kirchliche Trägerin des Krankenhauses ist die Beklagte.

Im Dienstvertrag vom 12.10.1999 heißt es unter anderem:

Grundlage des Vertrages

Das St. W.-Krankenhaus ist ein katholisches Krankenhaus.

Mit diesem Krankenhaus erfüllt der Träger eine Aufgabe der Caritas als eine Lebens- und Wesensäußerung der Katholischen Kirche. Mitarbeiter im Krankenhaus leisten deshalb ihren Dienst im Geist christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber und alle Mitarbeiter des Krankenhauses bilden ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit und Stellung eine Dienstgemeinschaft, die vom Dienstgeber und allen Mitarbeitern die Bereitschaft zu gemeinsam getragener Verantwortung und vertrauensvoller Zusammenarbeit fordert und ohne Einhaltung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre keinen Bestand haben kann.

In Anerkennung dieser Grundlage und unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.93 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222), der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 05.11.96 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 321), der Satzung des Krankenhauses und dem Organisationsstatut in den jeweils geltenden Fassungen wird folgendes vereinbart:

§ 10

Vertragsdauer

(1) Der Dienstvertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

(2) Die Zeit vom 01. Januar 2000 bis 30. Juni 2000 (6 Monate) gilt als Probezeit.

Während dieser Zeit kann das Dienstverhältnis beiderseits ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden.

(3) Nach der Probezeit kann das Dienstverhältnis von beiden Parteien mit einer Frist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gekündigt werden.

(4) Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB bleibt unberührt. Als wichtige Gründe zählen u. a. insbesondere:

  1. erhebliche, den Betrieb des Krankenhauses oder der Fachabteilung in Bestand oder Entwicklung gefährdende, hemmende oder schädigende Tatsachen, die in der Person oder in dem Verhalten des Arztes liegen, z. B. Feststellung einer Suchtkrankheit,
  2. ein grober Verstoß gegen kirchliche Grundsätze, z. B. Erklärung des Kirchenaustritts, Beteiligung an einer Abtreibung, Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft.

(5) Die Kündigung bedarf der Schriftform.

(6) Das Dienstverhältnis endet ohne Kündigung mit der Erreichung der in § 19 Abs. 3 AVR der jeweils gültigen Fassung festgelegten Altersgrenze oder mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid über eine vom Rentenversicherungsträger oder von einer anderen Versorgungseinrichtung festgestellte Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit dem Arzt zustellt wird.

Die „Grundordnung” des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993” (im Folgenden „GO” genannt) enthält unter anderem folgende Regelungen:

Artikel 4

Loyalitätsobliegenheiten

(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen ...

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