Leitsatz (amtlich)
Zur Berechnung vom behinderungsbedingten Mehrbetreuungskosten bei schwer pflegebedürftigen Minderjährigen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 17.12.2013; Aktenzeichen 5 O 56/12) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts
vom 17.12.13 - 5 O 56/12 - teilweise geändert und insgesamt
wie folgt neu gefasst:
1. Hinsichtlich der Schmerzensgeldforderung in Höhe von 500.000,00 EUR wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 500.000,00 EUR vom 7.7.09 bis zum 11.8.16 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 6.966,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.7.09 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 599.400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.7.09 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Ansprüchen ihres Prozessbevollmächtigten wegen der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen in Höhe von 8.371,41 EUR freizustellen.
6. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen zukünftigen ab dem 1. Juli 2010 entstehenden materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Berlin am 15.10.13 noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher dieser aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 29.1. bis 5.2.02 im Vivantes Klinikum Friedrichshain noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz haben die Klägerin zu 8 % und die Beklagte zu 92 % zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Klägerin zu 16 % und der Beklagten zu 84 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Beklagten wird gestattet, die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicher-heit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. A. Die Mutter der Klägerin entband nach Komplikationen in der Schwangerschaft im Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam per Kaiserschnitt am 19.6.01 nach 30 + 2 Wochen Schwangerschaftswochen Zwillinge - die Klägerin und ihre Schwester. Im Gegensatz zu der gesunden Schwester wurden bei der Klägerin neben Extremitätenfehlstellungen (Klumpfuß rechts, Hakenfuss links) eine respiratorische Adaptionsstörung, initiale Hypoglykämie und bronchopulmonale Dysplasie sowie gering ausgeprägte Kontrakturen am rechten Arm diagnostiziert.
In der Folgezeit befand sich die Klägerin wegen einer rezidivierenden obstruktiven Bronchitis in laufender ärztlicher Behandlung.
Ende Januar 2002 traten bei der Klägerin hohes Fieber und eine Verschlechterung der Atemsituation auf; der Zustand der Klägerin verschlechterte sich so sehr, dass sie schließlich am Nachmittag des 29.1.02 auf Überweisung der Fachärztin für Kinderheilkunde Dr. C... M..., die zuvor ohne Erfolg eine Inhalation mit dem Medikament Salbutamol (Sultanol) durchgeführt hatte, was sie auf dem Überweisungsschein vermerkt hatte, in der Einrichtung der Beklagten aufgenommen wurde (Aufnahmediagnose: "Akute Bronchitis durch Mykoplasma pneumoniae").
Während des Aufenthalts in der Einrichtung der Beklagten und der dortigen, sich sehr schwierig gestaltenden Behandlung - u.a. mit einer Inhalation mit Sultanol - kam es zu Komplikationen (Herz-Kreislauf-Stillstand am 29.1.02 während der Inhalation, Krampfanfälle, Hirnödem am 30.1.02). Es kam auch zu Darmblutungen, die nach Verlegung am 5.2.02 auf die Kinderintensivstation des Virchow Klinikums der Charité erfolgreich gestillt und therapiert werden konnten.
Am 26.3.02 wurde die Klägerin nach Hause entlassen.
Die Klägerin ist seitdem mehrfach schwerstbehindert (u.a. schwerer Hirnschaden, cerebrale und fieberinduzierte Krampfanfälle, schwere Sehbehinderung, schwere Tetraspastik mit entsprechenden orthopädischen Folgen und Störungen bei der Nahrungsaufnahme, Inkontinenz, hochgradige Sprachbehinderung). Sie kann nur in einem Schrägbett bei etwa 30 Grad liegen und nur in einem Rollstuhl mit speziell gefertigter Sitzschale fortbewegt werden. Sie muss regelmäßig gewickelt, gewindelt und umgelagert werden und bedarf einer ständigen Fütterung und Überwachung zur Nahrungsaufnahme. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 100 % und die Merkzeichen "H" (hilflose...