0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde mit dem Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz – UVEG) v. 7.8.1996 (BGBl. I S. 1254) in das SGB VII überführt und trat am 21.8.1996 in Kraft. Vorgängervorschrift war § 546 RVO a. F.
Durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz – UVMG) v. 30.10.2008 (BGBl. I S. 2130) wurden mit Wirkung zum 5.11.2008 die Abs. 3 und 4 angefügt. Damit wurde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie einbezogen und die Rolle des Spitzenverbandes DGUV in der Prävention betont.
Durch Art. 4 des Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG) v. 17.7.2015 (BGBl. I S. 1368) wurde mit Wirkung zum 25.7.2015 Abs. 3 ergänzt durch den Hinweis auf die nationale Präventionsstrategie nach §§ 20d bis 20f SGB V.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift stellt die Hauptaufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung heraus, nämlich den Eintritt von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie sonstige arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren von vornherein zu verhüten. Dieser Präventionsauftrag, der in allgemeiner Form auch gleich zu Anfang des Gesetzes in § 1 aufgestellt wird, entspricht zunächst dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht (§ 546 RVO).
Neu ist jedoch die Ausdehnung des Präventionsauftrags auf die Abwehr arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren. Damit sind erstmalig expressis verbis auch Aufgaben an die Berufsgenossenschaften delegiert worden, die nicht unbedingt mit dem Entschädigungsrecht korrespondieren. Fortgeschrieben wird damit die bisherige Praxis der Berufsgenossenschaften, die ihre Präventionsmaßnahmen auch schon bisher über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten im engeren Sinne wahrgenommen haben. Die Auftragsbeschreibung ist dabei Ausdruck der hohen Wertigkeit, die der Gesetzgeber zugunsten des Grundsatzes "Reha vor Rente" vergeben hat.
2 Rechtspraxis
2.1 Grundsätze der Prävention
Rz. 3
Abs. 1 Satz 1 greift den bereits in § 1 Abs. 1 formulierten Programmsatz auf, wonach es Aufgabe der Unfallversicherung ist, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten. Dieser Grundsatz wird weiter konkretisiert. Die Regelung bleibt auf der Ebene eines Programmsatzes, der den Trägern und deren Selbstverwaltung bei der Wahl der Instrumente und der zu treffenden Maßnahmen einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung lässt. Es muss sich allerdings um geeignete Mittel handeln. Bei den in den §§ 15 bis 24 normierten Instrumenten und Befugnisse ist dies ohne weiteres zu bejahen. Ein subjektiv-rechtlicher Anspruch lässt sich aus dem Programmsatz nicht herleiten.
Rz. 4
Als Aufgabe der Unfallversicherungsträger wird nicht nur die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, sondern auch die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren genannt. Dabei sind auch solche Gesundheitsgefahren gemeint, die nicht zu einer anerkennungsfähigen Berufskrankheit führen. Der Programmsatz, wonach die Unfallversicherungsträger für eine wirksame erste Hilfe zu sorgen haben, übernimmt die Regelung in der Vorläufervorschrift des § 721 RVO a. F. Danach ist in den Unternehmen eine wirksame erste Hilfe bei Arbeitsunfällen sicherzustellen. Gemeint ist also eine Form der tertiären Prävention, die bei bereits eingetretenem Versicherungsfall erfolgen soll. Institutionell zielt dies auf das betriebliche Rettungswesen ab.
Rz. 5
Die Organisation des betrieblichen Rettungswesens ist Aufgabe der Unternehmer. Verantwortlich für die Unfallverhütung im Betrieb ist ebenso nicht der Unfallversicherungsträger, sondern der Unternehmer (vgl. § 21 Abs. 1). Somit entbindet die Aufgabenzuweisung an die Unfallversicherungsträger zur Wahrnehmung konkreter Präventionsmaßnahmen den Unternehmer nicht von seiner Pflicht, konkrete unfallverhütende Maßnahmen vorzunehmen. Tätig wird der Unternehmer dabei aus seinen Verpflichtungen nach den einschlägigen Arbeitssicherheitsvorschriften. Daneben besteht auch eine arbeitsrechtliche Pflicht zur Vornahme von Präventionsmaßnahmen. So sind häufig in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen Arbeitssicherheitsaspekte geregelt. Schließlich ergibt sich im Einzelfall aus der allgemeinen arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ein Präventionsauftrag.
Rz. 6
Abs. 1 Satz 2 weist den Unfallversicherungsträgern die Ursachenforschung hinsichtlich der Gefahren für Leben und Gesundheit zu. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist Voraussetzung für Unfallverhütung und Prävention mit geeigneten Mitteln. Der Gesetzeswortlauf will diese Selbstverständlichkeit gesondert hervorheben. Damit wird der Auftrag vergeben, über die Beseitigung einzelner Ursachen hinaus, z. B. konkreter Berufskrankheiten, in ganzheitlicher fachübergreifender Weise multikausale Ursachenforschung weiterzutreiben. Der Unfallversicherungsträger hat daher nicht nur den Schädigungsursachen im Einzelfall nachzugehen, vielmehr ist er auch aufgefordert, grundsätzliche ...