Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Vermögenseinsatz. Behindertentestament. kein verwertbares Vermögen. Freigabe von Vermögenswerten durch den Testamentsvollstrecker. Berücksichtigung in den Grenzen des § 90 SGB 12. Taschengeldkonto. Geschützter Freibetrag
Leitsatz (amtlich)
Gibt der aufgrund eines sog Behindertentestaments eingesetzte Testamentsvollstrecker Vermögen durch Überweisung auf das Konto des behinderten Menschen frei, kann der nach § 19 Abs 3 SGB 12 leistungspflichtige Sozialhilfeträger in den Grenzen des § 90 SGB 12 hierauf zugreifen.
Normenkette
SGB XII § 19 Abs. 3, 5 S. 1, § 90; BGB §§ 2214, 2216-2217
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Vermögenseinsatz in Höhe von 4.129,29 € zur Tragung der Kosten der Sozialhilfe.
Die 1953 geborene Klägerin ist bei Down-Syndrom geistig und körperlich behindert und lebt vollstationär betreut seit 28. Oktober 1997 in einer stationären Einrichtung, den A-Stadter Wohnstätten in A-Stadt. Sie steht unter Betreuung. Der Beklagte ist der zuständige überörtliche Sozialhilfeträger. Die Kosten der stationären Betreuung wurden seit 1. September 1998 von dem Beklagten im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und seit 1. Januar 2005 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) getragen.
Die Eltern der Klägerin hatten in einem notariell beurkundeten gemeinschaftlichen Testament vom 28. Januar 1997 sich gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt (§ 1). Der Klägerin wurde ein Vermächtnis zugewandt (§ 2). Zur Verwaltung des der Klägerin zugewandten Vermächtnisses wurde ein Testamentsvollstrecker bestimmt (§ 3). Außerdem wurde die Klägerin zum Erben des überlebenden Ehegatten bestimmt. Die Klägerin solle befreiter Vorerbe sein, Nacherbe der Familienentlastende Dienst FED, A-Stadt/AB. e.V. (§ 4). Auch bezüglich der Vorerbschaft wurde ein Testamentsvollstrecker bestimmt (§ 5). § 6 des Testaments bestimmt: “Der vorhandene Nachlass soll dazu dienen, unserem Kind zu ermöglichen, sein Leben wie bisher weiterzuführen. Wir stellen es in das Ermessen des Testamentsvollstreckers, aus den Erträgnissen und, wenn er dies für erforderlich hält, auch aus der Substanz des Vermächtnisses und der Vorerbschaft Sachleistungen und Vergünstigungen für unser Kind zu erbringen, die der Testamentsvollstrecker für zweckmäßig und sinnvoll hält und die geeignet sind, unserem Kind Erleichterungen und Hilfen zu verschaffen. Das Vermögen soll für das persönliche Wohl und für die persönlichen Bedürfnisse entsprechend dem Grad der Behinderung unseres Kindes verwandt werden. Wir denken dabei insbesondere daran, dass unserer Tochter ausreichende Mittel zur Verfügung stehen sollen für Kleidung, Bettwäsche, persönliche Anschaffungen wie z.B. Musikgeräte, Schallplatten, Fernseher, technische Geräte entsprechend der technischen Entwicklung und seinen Wünschen und Bedürfnissen, die Einrichtung seines Zimmers, Freizeiten und Urlaubsaufenthalte, einschl. der Anschaffung der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, ärztliche Behandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw., Kuraufenthalte, Besuche bei Verwandten und Freunden. (…)„. Der Wert des Vermögens wurde von den Eltern bei Abfassung des Testaments mit 50.000,00 DM angegeben (§ 9).
Der Vater der Klägerin verstarb 1998, die Mutter der Klägerin 1999. Der Wert des Nachlasses betrug nach Abzug von Verbindlichkeiten laut Nachlachlassverzeichnis vom 4. Juli 1998 129.691,00 DM, das entspricht 66.309,96 €. Nachdem der im Testament benannte Testamentsvollstrecker das Amt nicht angenommen hatte, bestellte das Amtsgericht Hofgeismar mit Beschluss vom 20. Mai 1999 Herrn Rechtsanwalt LE. zum Testamentsvollstrecker.
Die letzte Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII im Vorfeld des hier streitigen Vermögenseinsatzes erfolgte mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Dezember 2005 für die Zeit ab 1. Januar 2005 bis 30. November 2008. Nach diesem Bescheid bewilligt der Beklagte der Klägerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen in Höhe von 640,42 € ab 1. Januar 2005, die direkt an die Einrichtung abgeführt werden; aufgrund der testamentarischen Verfügungen der Eltern wegen der Zweckidentität aber keinen Barbetrag, keinen Zusatzbarbetrag und keine Bekleidungsbeihilfe. Außerdem bewilligt der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe eines Grundbetrags von 690,00 € und für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 317,42 €. Die Klägerin hat eine Rente in Höhe von monatlich 640,58 € und Arbeitseinkommen aus der Werkstatt für behinderte Menschen in Höhe von monatlich 87,- € einzusetzen. Außerdem verweist der Bescheid auf die für die Klägerin maßgebliche Vermögensfreigrenze von 2.600,00 € und darauf, dass die Klägerin sich mit dem diese Freigrenze übersteigenden Einkommen zu beteiligen habe. Die Verlängerung der Kostenzusage werde zum Anlass genommen, um erneut die Vermögensverhä...