Entscheidungsstichwort (Thema)
Nahrungsaufnahme eines Flugkapitäns
Leitsatz (amtlich)
Ein Lufthansakapitän, der zwischen zwei Flügen in einem Hotel untergebracht ist, steht auf dem Weg zum Abendessen in einem in der Nähe gelegenen Restaurant nicht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er etwas später auch im Hotel hätte essen können, selbst wenn er bereits nachts starten muss.
Normenkette
RVO § 548
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 04.06.1975; Aktenzeichen S-1/U-195/74) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Juni 1975 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines vom Kläger in V. bei A. erlittenen Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall.
Der im Jahre 1921 geborene Kläger war bei der Deutschen L. AG – DLH – als Flugzeugführer tätig. Am 4. September 1974 zeigte diese der Beklagten förmlich an, daß der Kläger nach einem Flugeinsatz am Abend des 27. August 1974 gegen 21.50 Uhr auf dem Wege von einem Restaurant zur nahegelegenen Unterkunft im A. Hotel von einem Fahrzeug angefahren worden sei und verschiedene Frakturen und Prellungen erlitten habe. Er habe sich mit der Besatzung seines Flugzeuges in dem Restaurant zum Essen aufgehalten, auf dem Rückweg zum Hotel bemerkt, seinen Tabaksbeutel vergessen zu haben und diesen aus dem Restaurant geholt. Auf dem erneut angetretenen Rückweg sei er dann verunglückt. Der Kläger sei am 27. August 1974, 1.00 Uhr, in A. angekommen, sein nächster Einsatz sei für den 28. August 1974, 4.10 Uhr, vorgesehen gewesen. Oberarzt Dr. B. (Nordwestkrankenhaus F. teilte im Durchgangsarztbericht – vom 30. August 1974 mit, daß der Kläger sich bei dem Unfall eine leichte Commotio cerebri, eine Absprengung des Tuberculum majus rechts, eine Nierenkontusion links sowie Frakturen des Tibiakopfes links im bimalleolären Knöchel und im Unterschenkel links zugezogen hatte. Mit Bescheid vom 26. November 1974 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, da der Kläger diese Verletzungen nicht bei einem Arbeitsunfall erlitten, sondern sich zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens auf dem Rückweg von einer privaten Verrichtung zur Hotelunterkunft befunden habe.
Gegen diesen an ihn gegen Einschreiben am 27. November 1974 abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht in Darmstadt – SG – am 14. Dezember 1974 Klage erhoben und geltend gemacht. Als er verunglückt sei, habe er die Stelle des Weges, an der er zu dem Restaurant umgekehrt sei, bereits wieder passiert gehabt. Besondere Umstände rechtfertigten es, diesen Weg als versicherungsrechtlich geschützt anzusehen. Er habe am nächsten Tage um 2.30 Uhr aufstehen müssen und deshalb am Abend zuvor bereits um 21.30 Uhr zu Bett gehen wollen, um ausgeruht zu sein. Im A. Hotel erhalte man das Abendessen nicht vor 20.30 Uhr, was ihm zu spät gewesen sei. Aus diesem Grunde habe er für die Einnahme eines warmen Abendessens – kalte Speisen hätte er im Hotel auch früher aufs Zimmer bekommen können – ein Restaurant außerhalb des Hotels aufgesucht und dort zwischen 19.00 und 20.00 Uhr gespeist. Im übrigen müsse er als Flugzeugführer auch während der Ruhezeit dienstliche Obliegenheiten verrichten sowie jederzeit erreichbar sein und darauf achten, daß die ihm untergebenen Mitglieder seiner Crew die Ruhezeit zweckentsprechend verbringen. Diese sei daher als Arbeitszeit anzusehen. Schließlich sei zu beachten, daß er sich betriebsbedingt im fremdsprachigen Ausland aufgehalten habe. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte er den Hotelboy nach den vergessenen Rauchutensilien schicken oder deswegen mit dem Inhaber des Restaurants telefonieren können. So sei er aber gezwungen gewesen, diese selbst zu holen.
Das SG hat den Kläger persönlich gehört und mit Urteil vom 4. Juni 1975 die Beklagte zur Gewährung der gesetzlichen Unfallentschädigung verurteilt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Einnahme einer warmen Abendmahlzeit außerhalb der Hotelunterkunft sei dienstlich erforderlich gewesen, da der Kläger wegen des frühen Arbeitsbeginnes schon frühzeitig habe essen und schlafen gehen müssen. Im übrigen sei er auf dem Wege zu seinem Hotel einer besonderen Gefahr erlegen, die sich aus der Zurücklegung gerade dieses Weges ergeben habe. Er sei nämlich auf dem steil abfallenden, kurvenreichen Straßenstück völlig unzureichend geschützt gewesen. Ein Fußgängerweg habe nicht bestanden.
Gegen dieses ihr am 10. Juni 1975 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. Juni 1975 bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich Berufung eingelegt. Es sind noch die Auskünfte der DLH und der Deutschen Botschaft in A. vom 10. November 1975 und vom 16. Juni 1976 eingeholt worden. Die DLH hat die Dienstvorschrift „Flugbetriebshandbuch” sowie den maßgeblichen Teil des Manteltarifvertrages Nr. 1 Bordpersonal vorge...